
Redebeitrag: Nazis raus aus Kray!
Im Folgenden dokumentieren wir unseren Redebeitrag vom 13.06.2025 anlässlich eines weiteren „Offenen Abends“ der Partei „Die Heimat“, der „Heimatjugen“ und „Jung und Stark“ in der Marienstraße 66a in Essen:
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Antifaschist*innen,
wir sind heute hier, weil wir gemeinsam zeigen wollen: Wir lassen nicht zu, dass rechtsextreme Strukturen in unserer Stadt wachsen und Gewalt ausüben. Vor uns sehen wir Personen, die sich heute in Kray treffen – doch ihre Aktivitäten enden nicht an den Grenzen dieses Stadtteils. Sie sind glasklar gewaltbereit, und das ist belegt: Niklas Busch hat am 15. März in Essen einen Pressevertreter attackiert, Nico Wille hat am 17. Mai in Herford einen Pressevertreter tätlich angegriffen. Beim Angriff auf die linke Szene-Kneipe Hirsch Q am 31.05. in Dortmund waren 15 bis 20 Personen beteiligt, wovon vier festgenommen wurden. Zwei der Angreifer kommen aus Essen. Andere Akteure, denen wir gerade gegenüberstehen, protzen auf Instagram mit Schusswaffenübungen: Videos zeigen sie kahlrasiert, vermummt, wie sie auf freien Flächen Pistolen abfeuern. Das ist keine abstrakte Gefahr, das ist handfeste Gewaltbereitschaft.
Dieses Problem ist nicht auf Kray begrenzt. Aus dem gesamten Essener Stadtgebiet erreichen uns Hinweise auf verstäkte Nazi-Aktivität. In Borbeck, in Steele, in Frohnhausen, in Rüttenscheid, in Altendorf. Faschistische Strukturen versuchen, sich in unterschiedlichen Vierteln zu verankern. Die heute angereisten Nazis kommen aus Essen und umliegenden Ruhrgebietsstädten, und die alten Kader reisen nicht selten aus Dortmund an. Wenn es nach ihnen ginge, soll Kray zum nächsten Dorstfeld werden – das lassen wir nicht zu.
Ein gravierender Aspekt ist die enge Verzahnung zwischen altbekannten Strukturen („Die Heimat“, vormals NPD/Die Rechte) und einer neuen Generation, die sich über Plattformen wie TikTok und Instagram radikalisiert hat und bereits in vergleichsweise jungen Jahren ein geschlossen faschistisches, misogynes, queerfeindliches, chauvinistisches, ultranationalistisches, autoritäres, gewaltverherrlichendes und die NS-Zeit glorifizierendes Weltbild. Auf TikTok und Instagram werden gezielt Hassbotschaften und Kampfästhetik verbreitet, was belegt, wie gefährlich diese Form der Selbstradikalisierung ist. Die jungen Neonazis inszenieren sich als moderne Kämpfer*innen, sie suchen Schulterschlüsse mit den alten Kadern, besuchen Orte wie das Stammlokal „300“ der „Steeler Jungs“ in Essen-Steele und präsentieren sich zugleich online als vermeintlich hippe, harmlose Community. Die Altnazis nutzen dieses jugendaffine Auftreten, um ihre Strukturen zu erneuern. Die Jungnazis profitieren gerne von der Erfahrung und Infrastruktur durch die Altnazis. Diese Allianz birgt enormes Mobilisierungspotenzial und ein hohes Gewaltrisiko – wir appellieren an alle, nicht nur hier vor Ort, sondern überall: Beobachtet genau, sprecht darüber, informiert euch, engagiert euch! Wir lassen nicht zu, dass diese Netzwerke unbehelligt wachsen!
Dabei wissen wir: Wir werden sie nicht allein mit Kundgebungen aufhalten können. Jede Arbeit gegen Rechts, sei es Aufklärung in Schulen, Recherchegruppen, Präventionsarbeit in Jugendzentren oder Solidaritätsnetzwerke, trägt dazu bei, den Boden für rechtsextreme Propaganda zu entziehen. Es ist eine vielschichtige stadtgesellschaftliche Anstrengung, und jede Form zivilgesellschaftlichen Engagements ist wertvolle Gegenwehr. Wir widersetzen uns diesen Nazis in vielfältiger Weise – laut, unbequem und wachsam.
Gleichzeitig wollen wir heute auch einen positiven Impuls setzen: Erinnern wir uns an Margot Friedländer. Sie überlebte Deportation und Exil, kehrte nach Jahrzehnten nach Deutschland zurück und setzte sich bis ins hohe Alter unermüdlich für Erinnerung, Versöhnung und Demokratie ein. Wäre es nicht ein starkes Signal, die Marienstraße, die Straße, in der wir gerade stehen und die Standort rechtsradikaler Gruppen ist, in ‚Margot-Friedländer-Straße‘ umzubenennen? Damit brechen wir die Symbolik des Hasses und setzen ein sichtbares Bekenntnis zu Menschlichkeit und demokratischer Erinnerungskultur. Das Leben Friedländers steht für Offenheit, Empathie und entschlossenes Eintreten gegen Menschenfeindlichkeit – das genaue Gegenteil der Ideologien, denen wir hier entgegentreten. Ein Blick nach Riesa zeigt, wie wirkungsvoll solche Zeichen sein können: Dort wurde die Mannheimer Straße, Sitz des NPD-Verlags ‚Deutsche Stimme‘, in Geschwister-Scholl-Straße umbenannt – seitdem trägt jeder Schriftverkehr der NPD den Namen der Widerstandskämpfer*innen Scholl in sich.
Liebe Freundinnen und Freunde, die „Offenen Abende“, wie heute wieder einer stattfindet, dient dem gegenseitigen Beschnuppern und Zusammenwachsen der alten und der jungen Nazis. Was daraus wird, wird sich zeigen: Wenn die Altnazis und Jungnazis zusammengehen, formiert sich in Essen eine große, aktive Nazi-Gruppe. Doch selbst wenn sie getrennt agierten, bedeutete das nicht weniger Gefahr – denn dann hätten wir zwei oder mehr unabhängige, ebenso gefährliche Gruppierungen. Die Nazis agieren nicht im luftleeren Raum. Die rechte Szene ist in Bewegung: lokal, landesweit und international. Auf lokaler Ebene vernetzen sich Nazis wieder ungeniert in Szene-Orten, wie hier bei der „Heimat“ oder im „300“ in Steele oder trainieren in rechten Kampfsportstudios für den Straßenkampf. Überregional agieren und mobilisieren Gruppen wie ‚Jung und Stark‘ zu Demonstrationen und Angriffen auf ihre politischen Gegner*innen. Selbst international ist die Szene aktiv, beispielsweise, wenn auch aus Essen Szenegrößen zum Aufbau rechter Rockerstrukturen nach Italien entsendet werden.
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Antifaschist*innen: Heute geht es nicht um Forderungskataloge, sondern darum, die Lage klar zu beschreiben und uns gemeinsam zu verankern in einer Bewegung, die demokratische, die antifaschistische Werte schützt. Wir stehen hier und wir bleiben hier, wo sie auftauchen, um Widerstand zu leisten. Recherche, Aufklärung, Solidarität und Erinnerungskultur sind zentrale Bausteine im Kampf gegen Neonazis. Eine Vernetzung über Stadtteilgrenzen hinweg ist notwendig, um gemeinsam aufmerksam zu bleiben. Und es ist wichtig, Aktivitäten der extremen Rechten konsequent zu dokumentieren und öffentlich zu machen.
Essen ist unser Zuhause. Wir lassen nicht zu, dass Neonazis dieses Zuhause unterwandern oder als Rückzugsraum nutzen. Wir widersetzen uns dem Hass, wir tragen den Geist von Margot Friedländer weiter: Erinnerung, Menschlichkeit und demokratisches Miteinander. Danke, dass ihr heute hier seid, danke, dass ihr Haltung zeigt – hier, dort und überall, wo es notwendig ist. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Nazis in unserer Stadt keinen Platz hat und Erinnerungskultur lebendig bleibt.
Vielen Dank.