
Neonazi-Strukturen in Essen
In unserem Flyer „Neonazi-Strukturen in Essen – Dynamiken und Zusammenhänge“ machen wir auf die virulente rechtsradikale Szene in Essen aufmerksam. Den Flyer bekommt ihr ab sofort an unseren Infoständen. Du möchtest selber Flyer auslegen/verteilen? Nimm Kontakt zu uns auf und sag uns, wie viele du gebrauchen kannst und wo wir sie hinsenden dürfen.


Neonazi-Strukturen in Essen
Dynamiken und Zusammenhänge
Entwicklung rechtsextremer Parteien in Essen
In Essen haben sich in den vergangenen Jahren mehrere neonazistische Gruppen und Strömungen zu neuen Konstellationen formiert. Die einst eigenständige NPD, die nach zwei gescheiterten Verbotsverfahren (2003 und 2017) und einem massiven Mitgliederschwund – bedingt durch Imageverluste und Abwanderungen rechter Kameraden zur AfD – deutlich an Einfluss verlor, traf auf die Kleinstpartei „Die Rechte“. 2023 folgte der Zusammenschluss beider Gruppierungen zur Partei „Die Heimat“. Diese Fusion war eine strategische Reaktion auf die Nachwuchsprobleme, das Wegziehen profilierter Szenegrößen und den völkischen Rechtsruck der AfD, der viele ehemalige NPD-Anhänger*innen abgeworben hatte.
Neonazi-Partei „Die Heimat“

Die Partei „Die Heimat“ wird selbst vom auf dem rechten Auge blinden Verfassungsschutz beobachtet und als gewaltbereit eingestuft. Ihr NRW-Landesverband unterhält seit 2012 seine Zentrale in der Marienstraße 66a in Essen-Kray, die als logistisches Rückgrat dient. Die Funktionäre haben jahrelange Erfahrung in der rechtsextremen Szene und besitzen aufgrund mehrjähriger Vorstrafen wegen Volksverhetzung und Gewaltdelikten ein ausgeprägtes Wissen im Umgang mit staatlichen Repressionsmaßnahmen. Ihre Finanzierung erfolgt über Spenden und Merchandise-Verkäufe, während feste Räume Schulungen, Propagandadruck und Versammlungen ermöglichen. Dabei sorgen Szenegrößen wie Claus Cremer (Bochum) sowie Sven Skoda und Sascha Krolzig (beide Dortmund) für eine überregionale Vernetzung.
Neue Nazis: Rechte Jugendkulturen
Seit 2024 entstehen in Essen immer wieder kurzlebige Neonazi-Kleingruppen, die sich unter wechselnden Namen formieren und schnell wieder zerfallen. In der Szene ist viel Bewegung. Die stabilste und bekannteste Gruppierung ist „Jung und Stark“, in der mehrere Essener Neonazis aktiv sind. Sie besteht aus 14- bis Mitte-20-Jährigen, die gezielt angesprochen und angeworben werden. Auffällig ist ihr bereits in jungen Jahren geschlossenes völkisches, misogynes, queerfeindliches, ultranationalistisches, autoritäres, gewaltverherrlichendes und antisemitisches Weltbild.
Was diese Kleingruppen eint, ist eine aggressive, feindbildorientierte Ideologie. Besonders auffällig ist ihre Muslim- feindlichkeit: Sie inszenieren sich als moderne Kreuzritterinnen gegen eine vermeintliche Islamisierung. Auch trans- und homofeindliche Haltungen sind zentral – sie organisieren Gegenproteste zu queeren Veranstaltungen, stören CSDs und planen Übergriffe. Hinzu kommt ein Hang zur Selbstjustiz: Vermeintliche Sexualstraftäter werden in selbstinszenierte Fallen gelockt, die Übergriffe gefilmt und über eigene Kanäle in einer gefährlichen Mischung aus Hetze, Gewalt und Selbst- inszenierung verbreitet.
Trotz loser Strukturen zeigen sich bewusste Bezüge zur Partei „Die Heimat“ und ihrer Ju- gendorganisation („Heimatjugend“, früher „Junge Nationalisten“). Auch Kontakte zu den rechtsradikalen „Steeler Jungs“ sind erkennbar. Nach sogenannten „Heimat-Abenden“ in Essen-Kray trifft man sich regel- mäßig in der Szene- Sportsbar „300“ in der Westfalenstraße 300 in Essen-Steele.

Ihre Gewaltbereitschaft zeigten diese Neonazis u.a. im März und Mai 2025 bei Angriffen auf Pressevertreterinnen sowie am 31.05.2025 bei einem Überfall auf die linke Kneipe HirschQ in Dortmund mit Sachbeschädigungen und mehreren Verletzten. Besonders alarmierend: Auf Social Media sieht man sie nicht mehr nur beim Kampfsporttraining, sondern auch beim Schießtraining.
Rechte Sticker und Graffiti dieser Strukturen finden sich mittlerweile im gesamten Stadtgebiet – Insignien territorialer Ansprüche und Einschüchterung. Besonders häufig treten sie derzeit in Kray, Borbeck und Frohnhausen auf.
Radikalisierungsorte junger Neonazis
Die Ideologisierung und Rekrutierung der neuen Neonazi-Generation findet überwiegend online statt, flankiert von realen Treffen. Plattformen wie TikTok und Instagram dienen als Schaufenster der Szene: Kurze Clips aus Fitnessstudios, Kampfsporttrainings und rechtsextremen Aufmärschen, unterlegt mit völkischen Parolen und aggressiver Musik, vermitteln ein ästhetisiertes Bild von Stärke, Kameradschaft und vermeintlicher Heimatverteidigung. Durch trendige Bildsprache und schnelle Schnitte docken die Inhalte gezielt an jugendliche Sehgewohnheiten an – und verpacken menschenverachtende Ideologie in ein popkulturelles Gewand.
Telegram- und WhatsApp-Gruppen dienen der internen Koordination: Hier werden Memes, Feindeslisten, Veranstaltungsinfos sowie Pläne für gezielte Aktionen ausgetauscht. YouTube-Kanäle und Podcasts runden das digitale Umfeld ab: Sie verbreiten geschichtsrevisionistische Narrative, inszenieren Täter-Opfer-Umkehr und binden Streamer*innen aus dem sogenannten „politischen Vorfeld“ ein. Diese Formate schaffen Echokammern, in denen Kritik ausgeblendet, Radikalisierung normalisiert und Gewalt legitimiert wird.
Aktuelle Entwicklungen
In Essen treffen derzeit zwei Generationen von Neonazis aufeinander: Während altgediente Kader Räume, Strukturen und juristische Erfahrung beisteuern, bringen junge, digital brutalisierte Gruppen Dynamik, neue Aktionsformen und Reichweite mit. Noch bestehen zwischen Parteiakteuren wie der „Heimat“ und autonomen Gruppierungen wie „Jung und Stark“ keine festen organisatorischen Bande – doch punktuelle Überschneidungen, ideologische Übereinstimmung und gemeinsame Veranstaltungen deuten auf eine wachsende Annäherung hin.
Dieses Zusammenkommen birgt erhebliches Eskalationspotenzial. Sollte es zur dauerhaften Kooperation kommen, entsteht in Essen eine große, lokal verankerte, gut vernetzte und gewaltbereite rechte Szene, die gezielt Stadtteile dominieren, politische Gegner*innen einschüchtern und gesellschaftlichen Zusammenhalt untergraben will. Selbst wenn sie getrennt blieben, würde das lediglich bedeuten, dass es zwei oder mehr unabhängige ebenso gefährliche Gruppierungen in Essen gäbe.
Die geschlossene Ablehnung von Migration, queerer Existenz, Gleichberechtigung und demokratischen Institutionen eint beide Lager. Die Gefahr liegt dabei nicht nur in Gewaltakten, sondern in der langfristigen Normalisierung rechter Ideologien – auf der Straße, im Netz und in den Köpfen.
Kein Essen für Neonazis!
Es braucht eine aufmerksame Stadtgesellschaft, die rechte Umtriebe erkennt und benennt, Betroffene unterstützt und demokratische Räume verteidigt. Niemand muss alles tun – aber jede*r kann etwas tun: Initiativen stärken, Vorfälle melden, Haltung zeigen.
Essen soll eine solidarische, offene Stadt bleiben – und dafür braucht es uns alle. Kein Platz für Neonazis. Nicht hier. Nicht anderswo.