
Nazi-Versammlung in Essen-Kray
Neonazis aus sowohl dem parteigebundenen, als auch nichtparteigebundenen Spektrum haben vergangenen Freitag, den 11.04.2025 zu einem „Offenen Abend“ in Essen-Kray geladen. Ab 19:30 Uhr trafen sich alteingesessene und junge Nazis in den Parteiräumen der neonazistischen Partei „Die Heimat“, die aus dem Zusammenschluss von „NPD“ und „Die Rechte“ hervorgegangen ist.
„Die Heimat“
Die ehemalige NPD- und heutige „Die Heimat“-Zentrale befindet sich seit 2012 in Essen-Kray in der Marienstraße 66a. Seinerzeit musste das alte Domizil in Bochum-Wattenscheid aufgrund einer Zwangsversteigerung verlassen und nach einer Alternative gesucht werden. Essen-Kray als strategisch günstig gelegener Stadtteil in direkter Nähe zum für seine virulente rechte Szene bekannten Stadtteil Essen-Steele kam den Neonazis da sehr gelegen.
Dennoch verlor die NPD in den Folgejahren an Attraktivität und folglich Zulauf. Die beiden Verbotsverfahren von 2003 und 2017 waren zwar aufgrund eklatanter Fehler der Behörden beide letztlich nicht erfolgreich, sorgten aber innerhalb der rechtsextremen Szene für eine Neubewertung der NPD als Sammelbecken für Neonazis. 2012 gründete sich die Identitäre Bewegung in Deutschland und umwarb mit einem neuen, hipster-esquen Erscheinungsbild und neuartigen Aktionsformen den jugendlichen Nachwuchs. Die ebenfalls 2012 gegründete neonazistische Kleinstpartei „Die Rechte“ sorgte ebenfalls für ein Abwandern von Sympathisant*innen. Mit Gründung der AfD 2013 wechselten abermals viele, auch ältere Kameraden das Parteienlager, wodurch die NPD immer weiter schrumpfte und immer weniger sichtbar war. Die sich immer weniger relevant erkennenden Nazis haben dann 2023 die NPD und „Die Rechte“ wieder fusioniert und agieren seitdem als „Die Heimat“.
Die Nazi-Szene war in den letzten Jahren weniger sichtbar. Sie war allerdings nie verschwunden und setzte auf Vernetzung. 2019 marschierten bis zu 250 Neonazis bestehend aus „Steeler Jungs“, „Die Rechte“, „NPD“ und weiteren durch Essen-Steele. Kader von „Die Heimat“ suchten 2024 den Schulterschluss, fanden ihn und marschierten in Essen-Borbeck mit der Corona-Leugner*innen-Gruppe „Ruhrpottlöwen“. Ebenfalls 2024 beteiligten sie sich in Solingen an einer Demonstration gemeinsam mit „Steeler Jungs“.
In den letzten Monaten sind wieder verstärkte Aktivitäten der Nazis um „Die Heimat“ zu verzeichnen. Besonders interessant ist dabei die Anbiederung an eine Szene bislang nichtparteigebundener Neonazis.
„Jung und Stark“
Seit 2023 beobachten wir diverse Gruppen radikalisierter und sich weiter radikalisierender Jugendlicher in und um Essen. Diesen Gruppen ist gemein, dass sie sich nicht über ältere Neonazis und ihre Strukturen aufstacheln lassen haben, sondern über Soziale Medien ideologisch gefestigt haben. Die Plattform TikTok spielt dabei eine herausragende Rolle, gefolgt von Instagram, auf denen sich die Jungnazis gegenseitig in ihrem Hass auf Andere bestärken und so in ihrer Echokammer immer radikaler, verbohrter und gewaltbereiter werden. Dabei spielen Themen eine Rolle, die nicht zwingend logisch zueinander passen. Viel dreht sich um Männlichkeit, Kraft- und Kampfsport, Eisernheit und das Bild von Einzelkämpfern. Fußball- und Eishockeysport kommen immer wieder als Einstiegspunkt in Themen wie Gemeinschaft, Abwertung Anderer, Familie, Treue und Zusammenhalt zur Geltung. Überraschenderweise aber auch bislang weniger für Neonazis relevante Themen wie das Christentum. Besonders letzteres wird genutzt, um sich als moderne Kreuzritter*innen zu stilisieren, die gegen „Überfremdung“ und den Islam kämpfen. Übergreifend taucht auch immer wieder der Hass auf LSBTIQ*-Menschen auf, denen eine „Abartigkeit“ oder „Pädophilie“ unterstellt wird und das die Szene als Legitimation für Gewalt gegen sie sieht. Wie auch im gesamten restlichen Bundesgebiet ist auch der Essener CSD bereits als Ziel für Angriffe auserkoren worden. 2024 konnte das zum Glück noch nicht gelingen.
In ihrem Auftreten und ihrer Ästhetik erinnern diese jungen Neonazis frappierend an das Klischee der 90er Jahre: Glatze, Bomberjacke, Springerstiefel. Der längst in der Versenkung gewähnte Chic der Baseballschläger-Jahre scheint ein regelrechtes Revival unter jungen Menschen der Extremen Rechten zu haben. Das drückt sich auch in der Bildsprache der Social Media Profile der Anhänger*innen aus, in denen Schwarz-Weiß-Rote Fahnen, szenetyptische Emojis und SS-Totenköpfe an der Tagesordnung sind.
Die sich in Gruppen wie beispielsweise „Jung und Stark“ zusammenschließenden Jugendlichen biedern sich inzwischen aber doch den bislang als altbacken, verkrusteten und verstaubten Parteiorganisationen wie der „Heimat“ an. Am 15.03.2025 plante der Essener Jung-Nazi und „Jung und Stark“-Anhänger Justin Ü. eine Demonstration gegen „Überfremdung“ in Essen. Schnell konnte man erkennen, dass Ü. damit heillos überfordert war. Die Versammlung wurde dem folgend dann auch nicht nur von Personen wie Claus Cremer von „Die Heimat“ unterstützt, sondern maßgeblich organisiert, während Ü. zwar noch einen Redebeitrag halten durfte, ansonsten aber nur Teilnehmer und Zaungast war.
Nazi-Strukturen
Am vergangenen Freitag, den 11.04., lud die „Heimatjugend“, früher bekannt als „JN“ („Junge Nationalisten“), die Jugendorganisation der „NPD“, „politisch interessierte“ und „Gleichgesinnte“ zum wiederholten Male nach Kray. Breits am 08.03. veranstalteten die Partei-Nazis am selben Ort einen Kennenlernabend. Auch dort waren Mitglieder von „Jung und Stark“ anwesend.
Beim letzten Treffen wurden die Teilnehmer*innen einer polizeilichen Maßnahme aufgrund einer „strategischen Fahndung“ unterzogen. Mindestens einer der Nazis wurde dabei mit Zwang abgeführt und durchsucht, da er seine Personalien nicht angeben wollte. Die Nazis kommentierten das als „Schikane“ und verlautbarten „Die Strategie der Einschüchterung hat schon in Dortmund nicht funktioniert, und sie wird natürlich auch in Essen nicht funktionieren.“. Der dortmunder „Nazi-Kiez“ in Dorstfeld gilt zumindest nach Polizeiangaben inzwischen als „zerschlagen“.
Es wurde eine Spontanversammlung angezeigt, woraufhin sich die ca. 45 Anwesenden mit ihrem Parteibanner, Deutschlandfahnen und den Flaggen von Westfalen und der Rheinprovinz durch Kray bewegten. Unter anderem rief die Menge die Parolen „Frei, sozial und national“, „Wer Deutschland nicht liebt, muss Deutschland verlassen“ sowie „Hier marschiert die deutsche Jugend“: Altbekannte Naziparolen. Die Gruppe rief zudem „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, was strafrechtlich relevant ist.
Die sich momentan in Kray findenden und formierenden Nazi-Strukturen belegen, dass sich die Nazi-Szene die letzten Jahre allenfalls in Lauerstellung befunden hat. Die Jungnazis versprechen vielversprechende Mobilisierungswerkzeuge, eine jugendgerechte Sprache und viel aktionistisches Potential mitzubringen. Die Altnazis hingegen glänzen durch Erfahrung, Organisationsgeschick und vor allem Infrastuktur, wie beispielsweise der Immobilie in der Marienstraße. Orte zum Treffen, Vernetzen und Zusammenwachsen sind von hoher Bedeutung für die sich zusammenraufende Szene.