Entmenschlichung des politischen Gegners
„Schützt euch vor den Zecken“, prangte auf dem Fahrzeug der „Steeler Jungs“ bei dem Freisenbrucher Karnevalszug. Dargestellt war dazu das Motiv einer Zecke, verbunden mit einer cäsarischen Unterlegenheitsgeste: Ein nach unten gerichtete Daumen, zerdrückt auf der Collage die besagte Zecke. Beide Bilder in Kombination drücken ganz eindeutig aus: gemeint ist (also zerdrückt werden soll) der politische Gegner, die Demokratinnen und Demokraten des Bündnisses „Mut machen – Steele bleibt bunt“, unser Bündnis, Essen stellt sich quer und alle, die sich gegen die rechte Bürgerwehr der „Steeler Jungs“ engagieren.
Die Zecke ist in rechten und rechtsradikalen Kreisen eine Metapher, um den politischen Gegner zu diskreditieren. Zecken werden als Parasiten gesehen, die vom „gesunden Volkskörper entfernt“ werden müssten. Komme, was da wolle. Nach unserer Veröffentlichung des Vorfalls und der Kritik am Umgang mit politisch Unliebsamen fand das Bild mediale Beachtung. Die Interpretation der Bezeichnung von Andersdenkenden als „Zecken“ ging aber medial etwas hinter der an Wehrmachtshelme erinnernde Kopfbedeckung der „Steeler Jungs“ unter.
Dabei wiegt die Metaphorik hinter der „Zecke“ deutlich schwerer, da sie den politischen Gegner entmenschlicht und so implizit Gewalt legitimiert. Zur Verdeutlichung dokumentieren wir einen Post eines führenden „Steeler Jung“ von seinem Facebook-Profil.
Der Post offenbart, dass mit dem Wort „Zecken“ nicht abstraktes angesprochen und thematisiert wird, sondern etwas sehr reales. Nämlich Menschen. Wir haben die Namen aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verfremdet. Im Original-Post werden jedoch sechs unterschiedliche Personen als „Parasiten“ und „Viren“ bezeichnet.
Es würde nach einem „Impfstoff“ gesucht werden. Will heißen: Ein Mittel gegen diese Menschen. Menschen, die sich für ein offenes, buntes und tolerantes Steele einsetzen. Die Entmenschlichung durch das Bild der „Zecke“ ist ein beliebtes in der rechtsradikalen Szene. Es wird dazu genutzt, um intern wie extern die Hemmschwelle gegen den politischen Gegner zu senken. Im Buch „Ich war Hitlerjunge Salomon“ von Sally Perel wird das Bild der „Zecke“ und sein menschenverachtender Nutzen eindrucksvoll beschrieben:
„Ein junges Mädchen aus einem deutschen Dorf hatte ihrem Gemeindepfarrer einen Brief geschrieben, in dem sie ihn fragte: »Wurden denn die Juden nicht auch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen?«
Die Antwort der Zeitung auf die mutige Anfrage dieses unbekannten Mädchens war erschütternd: »Sie sagen, auch die Juden seien nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden. Wir antworten darauf, dass auch blutsaugendes Ungeziefer und Zecken, die Krankheiten übertragen, von der Natur geschaffen wurden. Zum Schutz der menschlichen Gesundheit haben wir aber die Pflicht, sie mit Stumpf und Stiel auszurotten.«“¹
[¹]: Sally Perel, Ich war Hitlerjunge Salomon, ISBN: 978-3-453-06512-3, Seite 121