Von rechten Hooligans gekapertes Karneval
Die „Steeler Jungs“, eine Gruppe bestehend aus rechten Hooligans, Neonazis und mit Verbindungen zur Rockerszene der „Bandidos“ hat am vergangenen Sonntag einen Coup gelandet. Die Truppe hat sich – wie sie es auch in dem von ihnen heimgesuchten Stadtteil Steele tut – als bürgerlich getarnt und hat als „Steeler Jecken“ mit einem eigenen Zugwagen an dem Karnevalszug in Essen-Freisenbruch teilgenommen.
Gegenüber dem Veranstalter, den Freisenbrucher Gänsereitern, hat sich die Gruppe nicht zu erkennen gegeben. Stattdessen wurde ihr Wagen den Veranstaltern als einer von Familien mit Kindern vorgestellt. Dass es sich in Wahrheit aber um eine Gruppe der rechten Szene handelt, wurde bewusst unter den Tisch fallen gelassen. Die Gänsereiter behalten sich rechtliche Schritte gegen die „Steeler Jungs“ vor.
Die Strategie der „Steeler Jungs“ des Mimikrys, also des Verschleierns des eigenen rechten und extrem rechten Hintergrunds hat, am Sonntag funktioniert: Ungestört konnte der mit den bekannten Vertretern der „Steeler Jungs“ besetzte Wagen am Karnevalsumzug teilnehmen. Nicht gerechnet haben dürften die „Steeler Jungs“ aber mit der Masse an negativer Berichterstattung.
Als antifaschistisches und antirassistisches Bündnis Essen stellt sich quer haben wir früh zu dem Vorfall Stellung bezogen. Nun nutzen wir die Zeit, um noch einmal auf einige Punkte einzugehen.
Die Zecken… und der Daumen
Mit am auffälligsten an der Verkleidung des LKW ist wohl der Spruch
„Schützt euch vor den Zecken. Helau… die Steeler Jecken„
, sowie eine Zecke, die von einem Daumen zerdrückt wird.
Der Begriff „Zecke“, zumeist im Plural verwendet, ist ein in extrem rechten und rechtsradikalen Kreisen genutztes Wort, um Andersdenkende abzuwerten und zu beleidigen. Ziel der Beleidigung sind insbesondere Menschen, die als politisch links stehend vermutet werden, oder Punks. Die Zecke steht dabei sinnbildlich für einen Parasit, der sich an einem gesunden Wirt labt, ihn ausnimmt und schwächt. Entsprechend dargestellt wird das auf dem Wagen durch eine rote, blutsaugend-suggerierende Zunge der Zecke.
Das Bild des parasitären Blutsaugers knüpft dabei an die Rhetorik des Nationalsozialismus und seiner inhärenten Tiermetaphern an. Schon damals wurden Tiermetaphern als Stilmittel genutzt, um politisch Unliebsame zu entmenschlichen, zu kriminalisieren und gegen sie aufzuwiegeln. In der Ideologie des Nationalsozialismus muss der „gesunde Volkskörper“ mit allen Mitteln von Parasiten befreit werden.
Die dargestellte Zecke und die dargestellte Faust unterscheiden sich in der Art und Weise ihrer Zeichnung und scheinen ursprünglich nicht zusammengehört zu haben. Die Montage der Zeichnungen scheint also absichtlich vorgenommen worden zu sein. Auch wenn es sich um einen Irrtum handelt, wird der nach unten gerichtete Daumen gemeinhin als in der Zeit der römischen Kaiser und Gladiatorenkämpfe benutztes Zeichen für den Tod des unterlegenen Kämpfers gehalten. Dieses Zeichen für den Tod kann und muss als Drohung in Richtung all derer gewertet werden, die sich tagtäglich gegen Rechte, Rechtsradikale und Nazis wenden. Also Demokratinnen und Demokraten und Antifaschist*innen.
Eine nur allzu bekannte Farbwahl
Bei der Farbwahl haben sich die „Steeler Jungs“, die mit der rechten Szene gemäß ihres Mimikrys nichts zu tun haben wollen, an „Altbewährtem“ orientiert: Der Wagen und die obligatorischen Quasi-Uniformen in Form von bedruckten Pullis waren durchweg in Schwarz-Weiß-Rot gewählt. Die Trikolore der sogenannten Reichsflagge bildete von 1933 bis 1945 die Farben des Deutschen Reiches. Neonazis nutzen die Reichsflagge heute wieder gerne, da das Tragen und Präsentieren – anders als bei der Hakenkreuz- oder Reichskriegsflagge – nicht verboten ist. Die Stoßrichtung bleibt aber erhalten: Eine Glorifizierung der Zeit des Nationalsozialismus.
Helme: Verwechslungsgefahr?
Ebenfalls als eine Hommage an die Zeit des Nationalsozialismus muss vor dem Hintergrund der „Steeler Jungs“ auch die Wahl der getragenen Helme gewertet werden. Die Form der Helme erinnert nur zu sehr an die des M35. Der Stahlhelm war zwischen 1939 und 1942 der Standardhelm der deutschen Wehrmacht. Mag dieser Helm zwar bei den ihn auch tragenden Rockern mitunter eine geschichtsvergessene Modesünde sein, muss die Wahl der Kopfbedeckung und besonders ihre Form im rechten und rechtsradikalen Kontext der Präsentation gesehen werden.
Zwar bemühten sich die „Steeler Jungs“ heute um die Relativierung, dass ihr Accessoire ein wie von den Grubenarbeitern getragener Helm gewesen sei. Jedoch zeigt ein einfacher Vergleich recht schnell, dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelt, um nicht weiter in dem rechten Licht zu stehen, in das sie sich nun auch selber öffentlich gestellt haben.
Symbolik
Auf dem Seitenbanner des LKW prangte der Schriftzug:
„Auf Kohle geboren mit Stahl in den Adern
Ruhrpott
Meine Heimat, meine Liebe„
Die zunächst harmlos wirkende Anspielung auf die industrielle Bedeutung von Kohle und Stahl für das Ruhrgebiet entpuppt sich bei genauerer Betrachtung ebenfalls als Anknüpfungspunkt der Ideologie der Nationalsozialisten. „Auf Kohle geboren“ soll gemäß der Blut-und-Boden-Ideologie eine qua Geburt verwurzelte, unverwüstliche Verbundenheit mit dem Ruhrgebiet suggerieren, während der „Stahl in den Adern“ die eigene Stärke, Zähheit und Ausdauer bedeuten soll. „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl“ galt als das neue Ideal der Nazis. Noch heute brüsten sich Rechte und Rechtsradikale mit den gleichen Attributen.
Entsprechend werden auch Symbole, die – nicht nur, aber eben auch – in der rechten Szene verbreitet sind, genutzt. Ein Beispiel ist Thors Hammer. Thor galt bei den Germanen als Symbol der Stärke, Tatkraft und für hohes Alter. Rechte glorifizieren die germanische Mythologie und nutzen sie intern, wie auch extern, als Erkennungszeichen. Thor, oder auch Odin, der Gott des Krieges und des Todes in der Schlacht, werden dabei szeneintern besonders gerne genutzt, da sich die Anhänger*innen der extremen Rechten als Krieger*innen sehen.
Die Sache mit dem Wappen
Das Wappen der Stadt Essen darf nicht ohne Weiteres genutzt werden. Auf Antrag darf es von Firmen, Vereinen und Privatpersonen verwendet werden. Für andere Anlässe wurde vor Kurzem das sogenannte Jedermannwappen der Stadt Essen veröffentlicht, das von Privatpersonen, Verbänden und Vereinen genutzt werden darf. Paragraph 2, Absatz 4 der Allgemeinen Nutzungsvereinbarung besagt:
„4. Eine Nutzung des Jedermann-Wappens unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften oder eine Nutzung des Jedermann-Wappens im Zusammenhang mit moralisch-ethisch bedenklichen Inhalten (z.B. rassistische, fremdenfeindliche, jugendgefährdende oder beleidigende Inhalte) oder mit Inhalten, die der Stadt Essen entgegenstehen, wird untersagt.„
Dass die „Steeler Jungs“ mit ihrem Auftreten, Gebaren und ihren Verstrickungen in die gewaltbereite rechte Szene den moralisch-ethischen Prinzipien der Stadt Essen entgegenstehen, dürfte offenbar sein.
Distanzierungen
Nach der Veröffentlichung des Vorfalls durch das Bündnis Essen stellt sich quer, gab es inzwischen einige Distanzierungen:
- Der Veranstalter, die Gänsereiter Freisenbruch fühlen sich von den „Steeler Jungs“ getäuscht. Angekündigt war eine private Fußgruppe mit Bollerwagen. Obwohl untersagt, wurde der Zeckenspruch am Heck des Wagens wieder angebracht. „Wenn dieses Schild an euren Wagen kommt, verbieten wir euch das Mitfahren in unserem Umzug“, so Hans Walter Röpke zu den „Steeler Jungs“. Der Vorstand der Gänsereiter Freisenbruch prüft zurzeit zusammen mit einem Rechtsanwalt rechtliche Schritte gegen die „Steeler Jecken“.
- Die Werbegemeinschaft Freisenbruch distanziert sich ausdrücklich von den inhaltlichen Aussagen der „Steeler Jungs“: „Die WG hat mit der Organisation des Karnevalsumzug nichts zu tun und hat sich in keiner Weise daran beteiligt!“
- Die Stadt Essen ermittelt zurzeit wegen der nicht genehmigten Verwendung des offiziellen Essener Stadtwappens auf der Frontseite des Wagens.
- Die Werbeagentur Kumaco distanziert sich ebenfalls von den „Steeler Jungs“. Der Geschäftsführer Christian Kubon teilt uns mit:
„Aus aktuellem Anlass wollen wir etwas zu dem Freisenbrucher Gänsereiter-Umzug am Sonntag klarstellen. Unser Logo (KUMACO GMBH) prangte auf dem Karnevalswagen der „Steeler-Jecken“. Wir sind weder deren Unterstützer gewesen, noch stehen wir für rechte oder sonstige Gewalt. Wir sollten ein Plakat für einen Karnevalswagen drucken. Für welchen war uns nicht bekannt. Da dies kostenneutral gewünscht wurde, haben wir unser Logo hinzugefügt. Die Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber wurde von unserer Seite beendet.“