Redebeitrag „Es reicht: Rechten Terror beenden!“

Redebeitrag „Es reicht: Rechten Terror beenden!“

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

gestern hat sich im hessischen Hanau eine Tat ereignet, die uns erschüttert. Ein 43 Jahre alter Mann mit Namen Tobias R. ist in zwei Shisha-Bars gegangen und hat dort kaltblütig und skrupellos anwesende Gäste erschossen. R. hat insgesamt 10 Menschen ermordet. Sie aus dem Leben gerissen. Plötzlich und unerwartet.

Freundinnen und Freunde, Familie, Angehörige, Bekannte und Verwandte trauern um ihre Liebsten. Um ihre Familie, Mitglieder ihrer Sozialgemeinschaft. Wir stehen heute hier versammelt und trauern mit ihnen. Trauern um die Opfer des Anschlags auf Unschuldige. Um Menschen, die nichtsahnend gestern Abend noch in eine Bar gegangen sind. Menschen, die gestern noch gelebt haben und heute tot sind. Ermordet von einem rechtsradikalen Täter.

Und das nur, weil sie für den Täter nicht „deutsch“ genug waren. Weil ihnen unterstellt wurde, sie gehörten nicht nach Deutschland. Nicht zu Deutschland. Weil ihre Haut- und Haarfarbe vermeintlich zu dunkel sei. Wegen Äußerlichkeiten. Der Täter hat 9 Menschen aufgrund ihres Erscheinungsbildes ermordet!

Tobias R. hat seine Tat von langer Hand geplant. Er ist planvoll und zielgerichtet vorgegangen. Es handelt sich bei seiner Tat nicht um die eines Verwirrten, eines psychisch Kranken, der „ausgerastet“, der „durchgedreht“ ist. R. hat vor den Anschlägen auf die beiden Shisha-Bars ein Video auf einer Videoplattform hochgeladen. Dort spricht er in englischer Sprache zu seinen Zuschauenden. In dem knapp eineinhalb Minuten langen Beitrag vermengt R. nahezu jedes Narrativ, jede Erzählung, der radikalen Rechten zu einem kruden Mix aus Antisemitismus, Satanismus, Okkultismus, Rassismus und Antiamerikanismus.

R. spricht dabei ganz bewusst nicht in seiner Muttersprache Deutsch, sondern auf Englisch, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Seine Videobotschaft soll sowohl im In- als auch im Ausland, den USA, Nachahmer*innen erreichen und zu ähnlichen Taten aufrufen. Wie auch schon andere Terroristen zuvor, soll sich so versucht werden ein Denkmal zu setzen. Bedeutung zu erlangen.

Tobias R. hat neben dem Video auch ein Manuskript veröffentlicht. In diesem 24-Seitigen Pamphlet beschreibt R., dass bestimmte Volksgruppen bekämpft und getötet werden müssen. Er schildert in einer nahezu unaushaltbaren Selbstverständlichkeit von einem millionenfachen Mord an Menschen, die nicht in sein Weltbild passen. Besonders richtet sich sein Menschenhass dabei gegen Menschen aus dem nahen und mittleren Osten. Menschen, die er in Gänze auslöschen will.

Im weiteren Verlauf des Textes spricht R. von einer „Degeneration des Volkes“, was zeitgleich das Motiv für seinen Anschlag in Hanau ist. Die Mär der „Degeneration“ eines Volkes ist eine in rechtsradikalen Kreisen beliebte Erzählung. Zusammengefasst wird sie unter dem Schlagwort des „großen Austausches“. Auch andere Massenmörder wie Brenton Tarrant, der im März 2019 einen Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch in Neuseeland beging, oder Anders Behring Breivik, der 2011 im norwegischen Utøya 77 Menschen ermordete, beziehen sich auf dieses Narrativ.

Neben den bereits genannten Punkten zieht sich ein weiterer wesentlicher Aspekt durch das Manuskript R.s, der Antifeminismus. Antifeminismus, damit einhergehende übersteigerte Maskulinität und ein Hang zu äußerstem Narzissmus begegnen uns immer wieder bei den Persönlichkeitsprofilen rechtsradikaler Attentäter.

Liebe Freundinnen und Freunde, was sich bereits wenige Stunden nach der Tat abgezeichnet hat, ist spätestens nach Betrachten dieses Videos und der Analyse des Manuskripts ganz offenbar: R. handelte aus rechtsradikalen und rassistischen Motiven. Es handelt sich nicht, wie es nun aus der rechten politischen Ecke entschuldigend heißt, um einen geistig Verwirrten. Sondern ganz klar, eindeutig und belegbar um die Tat eines rassistisch und chauvinistisch durchdrungenen Charakters.

Die in aller Regel ausschließlich bei weißen und deutschen Tätern bemühte Diskussion um eine geistige Verwirrung ist dabei gleich auf zwei Arten falsch: Zum einen instrumentalisiert sie Kranke zu niederen Zwecken, schürt Vorurteile und Angst gegenüber erkrankten Menschen. Zum anderen sollen so unliebsame Debatten im Keim erstickt werden. Dabei bleibt ein rechtsradikales Motiv selbst bei jemandem, der oder die tatsächlich an einer psychischen Erkrankung leidet, ein rechtsradikales Motiv und eine rechtsradikale Tat! Terrorismus, da sind sich die Expert*innen einig, ist in den allermeisten Fällen kein psychisches Problem. Durch die Pathologisierung des Täters von Hanau ist nämlich nichts gewonnen: Sie hilft nicht dabei die Tat zu verstehen, sondern verdeckt, wie normal der völkische Wahn eigentlich bereits gesellschaftlich, beispielsweise durch die AfD, geworden ist. Den rechten Hetzerinnen und Hetzern ist zu sagen: Der ist einer von euch!

Wie auch der Attentäter der Silvesternacht 2018/2019 agierte R. planvoll, mit dem Ziel Menschen mit bestimmten äußeren Merkmalen das Leben zu nehmen und ihre ganze Community zu verunsichern, einzuschüchtern, zu lähmen. Benennen wir ihn, als das, was er ist: Ein rechtsradikaler Terrorist!

Nur wenige Tage nach dem Ausheben einer mutmaßlich rechtsradikalen Terrorzelle gibt es in Deutschland also wieder Nachrichten über rechten Terror!

Der rechte Terror wird nicht nur unterschätzt, sondern immer wieder verharmlost: Der NSU wird noch immer als die Tat von einem Trio bezeichnet. Die Hintergrundstrukturen, die Netzwerke, die Wohlfühlzonen für Rechtsradikale und Nazis blieben weitestgehend unberührt! Auch beim Attentäter von Halle, der in eine Synagoge eindringen wollte und zwei Menschen auf offener Straße tötete, blieben die Konsequenzen verhalten. Auch der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübke zog nicht nach sich, dass die rechtsterroristischen Netze aus Waffen, Logistik, Rückhalt ausgehöhlt und trockengelegt wurden. Es hat geschlagene 20 Jahre gedauert, bis die Gruppe „Combat 18“, die „Kampftruppe Adolf Hitler“, verboten wurde! Heute trainieren als gemeinnützig anerkannte Vereine den bewaffneten Häuserkampf, Rechte wappnen und bewaffnen sich für einen „Tag X“, an dem der Systemsturz durchgeführt werden soll, während in den Parlamenten genüsslich eine Partei sitzt, die als politischer Arm des Rechtsterrorismus bezeichnet werden kann und von dort die Ideologie, wie beispielsweise die vom „großen Austausch“, unter die Leute bringt. Die „Alternative für Deutschland“ ist Wegbereiterin und größte Profiteurin des erstarkenden Rechtsradikalismus. In Deutschland sind 497 Rechtsextreme auf freiem Fuß, obwohl nach ihnen gefahndet wird.

Liebe Freundinnen und Freunde, das ist ein Skandal! Ein ohrenbetäubendes Schweigen gegenüber rechtsradikaler Gewalt und derer Hintermänner und -frauen! Ein skandalöses Wegsehen, das Menschen das Leben gekostet hat! Es ist höchste Zeit den rechtsradikalen Sumpf und seine Netzwerke mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln trockenzulegen!

Wir stehen heute in Altendorf, einem Stadtteil, der migrantisch geprägt und immer wieder Ziel rassistischer Kontrollen durch die Polizei und den Medien geworden ist. Durch die konstante negative Berichterstattung sind auch in Essen Vorurteile und Ängste geschürt worden. Anfeindungen, die nicht nur hier, sondern auch bundesweit stattgefunden und die die Tat in Hanau begünstigt haben!

Liebe Freundinnen und Freunde, in den nächsten Stunden und Tagen werden wir wohl noch an der ein oder anderen Stelle den folgenden Satz hören: „Es hat uns alle getroffen“. So hehr die Aussage auch gemeint sein mag, sie stimmt im Kern nicht. Denn nicht weiße Deutsche wurden das Ziel des Rechtsterroristen, sondern Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen, denen ein Migrationshintergrund angedichtet wurde. Menschen also, wie sie besonders auch hier in Altendorf leben und die hier ihr Zuhause haben.

Wir möchten heute ein Zeichen der Solidarität senden und sagen: Ihr seid nicht allein! Wir möchten den Menschen, die direkt und indirekt von der Tat in Hanau betroffen sind, unser tiefes Mitgefühl, unsere Trauer und Anteilnahme ausdrücken.

Ich bedanke mich für euer aller Aufmerksamkeit!

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