Verschwörungstheorien, Meditation und Fundamentalopposition – die rechte Echokammer in Zeiten von Corona

Verschwörungstheorien, Meditation und Fundamentalopposition – die rechte Echokammer in Zeiten von Corona

Hurra, die Welt geht unter!

Vor knapp einem Monat ging eine Meldung durch die Medienlandschaft: Rechtsradikale nutzen die Corona-Krise für ihre Zwecke. Ziel der rechtsradikalen Agitation ist das Ausnutzen von Verunsicherung, um Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen.

Die politische Rechte sehnt sich geradezu nach dem Untergang: Sei es der Untergang herbeiphantasierter „Rassen“, der Untergang des „Abendlands“, der Untergang der „Kultur“, der Untergang des „deutschen Germanen“ oder der Untergang des „Finanzsystems“. Rechte und Rechtsradikale tragen Untergangsphantasien in und mit sich, wie die Wolke den Regen. Sie brauchen, lechzen gar, nach einer Bedrohung von Außen. Einem unheilvollen Übel, das über sie hereinbricht, das ein Zusammenrücken bedingt, Selbstaufgabe und das – selbstverständlich – nur durch sie selbst abgewendet, vereitelt, gelöst werden kann. Um als Retter*innen dastehen zu können, sehnt sich die politische Rechte daher ständig nach neuen Weltuntergangsszenarien, damit sie an die Macht kommen muss, um die Anhänger*innen sicher aus dem schier unabwendbaren Verderben erretten zu können.

Neuerdings kommen zu den bereits genannten Untergangswünschen weitere hinzu. Der neueste Schrei: Die Coronaschutzverordnungen.

Inkonsistenz – Die Konstante der Rechten

Zu Beginn der Corona-Epidemie in China waren die Kanäle der rechten und rechtsradikalen Echokammer voll von schwarzmalerischen Berichten einer „Seuche“, der Menschen der Reihe nach erliegen würden. Videos aus China, in denen Passant*innen zunächst noch taumelnd auf einer Stelle standen und danach unvermittelt zusammenbrachen oder Bilder, auf denen Fahrzeuge zu sehen waren, die großflächig Desinfektionsmittelwolken versprüht haben, sollten das Bild einer aufkommenden Gefahr zeichnen.

Freudig im Angesicht des grassierenden menschlichen Leids rieb sich die politische Rechte bereits die Hände, konnte sie doch wieder schnell, unvermittelt und fortdauernd fordern, die Außengrenzen Deutschlands zu schließen. Eine Forderung, die 2015 ihren Anfang nahm und seit nunmehr fünf Jahren zentrales Aktionsfeld der Rechten ist.

Kaum dass die Epidemie aber zu einer Pandemie geworden war, veränderte sich das Narrativ der Filterblase. Die Akteur*innen der politischen Rechten hätten schließlich sonst zugeben müssen, dass sie der aufkommenden Gefahr macht- und schutzlos ausgeliefert gewesen wären, was einem Kommunikations-Super-GAU gleichgekommen wäre.

Die Szene wechselte daher quasi über Nacht ihre Einschätzung zum Virus und erklärte aller logischen Stringenz zum Trotz: das genaue Gegenteil. Der Coronavirus SARS-CoV-2 sei nicht mehr als eine gewöhnliche Grippe, sei sehr ungefährlich, verlaufe wenn überhaupt sehr mild. Bis hin zu der Aussage, der Virus sei lediglich ausgedacht, würde gar nicht existieren, sei ein Vehikel, um die Welt „zu versklaven“.

Plötzliche Liebe zum Grundgesetz

Wollten Rechtsradikale und Rechte bislang das Grundgesetz in weiten Teilen oder in Gänze abschaffen, haben sie inzwischen eine neue Geschichte ersonnen: Die Coronaschutzverordnungen bedrohten das Grundgesetz und würden eine Diktatur einläuten. Wieder kommt die Szene nicht ohne eine Bedrohung aus, für die sie sich gleichzeitig als tapfere Recken und Kämpfer*innen inszeniert, die allein die Gefahr abwenden können.

Zwar ist korrekt, dass Grundrechte, beispielsweise die Versammlungsfreiheit, durch die Coronaschutzverordnungen eingeschränkt werden. In der Juristerei spricht man von praktischer Konkordanz, die zusammengefasst besagt, dass Rechte gegeneinander abgewägt werden müssen. Momentan ist beispielsweise eine Erlaubnis erforderlich, um Versammlungen durchführen zu dürfen, was an sonsten so nicht nötig oder vorgesehen ist. Selbstverständlich müssen Einschränkungen von Grundrechten auch immer kritisch begleitet und nur so lange wie nötig aufrecht erhalten bleiben dürfen. Dass mit den Coronaschutzverordnungen gerade eine Diktatur eingeläutet wird, ist jedoch absolut abstrus.

Inzwischen gibt es bundesweit daher entsprechende Gruppen, die sich „Corona Rebellen“ nennen und neben Verschwörungstheoretiker*innen, Querfront-Aktivist*innen, Impfgegner*innen, Rechte und Rechtsradikale anziehen. Bei der bislang größten Versammlung der Szene am 27. April vor der Volksbühne in Berlin-Mitte kamen etwa 1000 Personen zusammen. Ein buntes Stelldichein von Anhänger*innen und Protagonist*innen einer verschwörungstheoretischen und rechten sogenannten Mischszene.

Diese zeichnet sich dadurch aus, dass nicht alle Teilnehmenden ein geschlossen rechtes oder rechtsradikales oder verschwörungstheoretisches Weltbild haben, sondern auch mit Personen durchmengt ist, die sich von der behaupteten aufkommenden Bedrohungssituation haben beeinflussen lassen und die nun – teils sogar zum ersten Mal überhaupt – an einer Versammlung der Szene teilnehmen.

Das gezielte Aufbauen von rechten Mischszenen ist bereits seit längerem als klar gewählte Strategie der rechten Szene erkennbar. Durch demonstrativ nach Außen getragene Anschlussfähigkeit sollen neue Menschen in Kontakt mit der Szene kommen und schleichend in sie integriert werden.

Vom Internet auf die Straße

Durch die verschiedenen Coronaschutzverordnungen ist derzeit ein Großteil des öffentlichen Lebens in Deutschland heruntergefahren worden. Die rechte und rechtsradikale Blase reagiert darauf nicht mit Verständnis, dass die Neuinfektionszahlen möglichst gering gehalten werden müssen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Gespeist von gezielten Desinformationskampagnen, Fake News und Verschwörungstheorien behauptet die Szene, die Verordnungen seien eine zweite „Machtergreifung„, ein Öffnen von Tür und Tor für eine Diktatur und Versklavung des „deutschen Volkes“. Diese abstrusen Vorstellungen sind verbreiteter, als man meinen mag. Und sie sind gefährlich. Denn sie bieten Zugang zu einem Strudel aus absichtlich falschen Informationen, Rassismus bis hin zu Antisemitismus.

Angeheizt durch wochenlanges Aufstacheln formiert sich derzeit eine Phalanx, die ihre kruden Ansichten nun nicht mehr nur im Internet verbreiten, sondern dies auch in der Öffentlichkeit tun möchte. Dazu beruft man sich auf den Artikel 20 des Grundgesetz, das sogenannte Widerstandsrecht, da sie sich diktatorisch unterdrückt wähnt.

Auch in NRW und ebenso in Essen gibt es Ableger solcher Gruppen.

Corona-Rebellen NRW

Sascha Helmut V. postet Lieder seines Alter Egos „Master Spitter“.

Die Koordinierungsgruppe der Szene in NRW ist in Telegram organisiert. Die Gruppe beherbergt über 2500 Personen, Tendenz steigend. Über Szene-Multiplikator*innen wuchsen diese Gruppen quasi über Nacht von einer Handvoll zu einer großen Anzahl von Personen desselben Spektrums. Hier spielen besondere Protagonist*innen eine Schlüsselrolle, wie die ehemalige Fernsehmoderatorin Eva Herman, die mit ihrer enormen medialen Reichweite zur Unterstützung dieser Initiative aufgerufen hatte oder diverse QAnon-Gruppen, die die die verschwörungstheoretischen „Grundlagen“ beisteuern.

Einer der Administratoren ist Sascha Helmut V., ein Verschwörungstheoretiker und selbstbezeichneter Rapper, der auch schon eine maßgebliche Rolle bei der #omagate-Versammlung in Köln hatte, bei der rechte Wutbürger*innen vor der Zentrale des WDR demonstriert haben und bei der die rechtsradikale Bürgerwehr „Bruderschaft Deutschland“ als Schlägertruppe erschienen war.

Neben vielen Artikeln von „Alternativen Medien“, die typisch für die Chat-Gruppen dieser Szene sind, finden sich auch immer wieder antisemitische Tendenzen. Juden wird beispielsweise wahlweise die Schuld am mangelndem Nationalstolz gegeben werden, oder die Shoah ganz offen von einer Impfgegnerin verharmlost.

Dass es sich bei den Zusammenkünften nicht um harmlose Personen handelt, zeigen Aufrufe zu Gewalt wieder folgende eindrücklich:

Jemand möchte Polizeiautos in Brand stecken.

Essener Stilblüten: Nicht ohne uns

Der Essener Ableger umfasst inzwischen über 220 Gruppenmitglieder. Der Gruppenname lautet „Nicht ohne uns – Essen“. Administriert wird die Gruppe von insgesamt 4 Personen. Der Name der Gruppe geht auf den derzeit in Gründung befindlichen Verein „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ zurück. Selbiger Verein steckt auch hinter der Mobilisierung der Szene zur sogenannten „Hygiene-Demo“ in Berlin am 26. April mit 1000 Teilnehmenden.

Auffallend oft finden sich in dieser Gruppe Personen aus dem christlichen Spektrum, die Corona Kraft ihres Glaubens bezwingen können zu glauben.

Eine der Administrator*innen bedient sich der in der rechten Blase beliebten Erzählung hinter Corona stecke klammheimlich Bill Gates. Sie nutzt dazu ein Profilbild, das auf zweierlei Ebenen wirkt. Zum einen zeichnet es Gates als unheilbringenden Strippenzieher, eine sekundär antisemitische Erzählung. Zum anderen wird Gates aufgrund des ähnlichen Klangs bei der Aussprache, als auch der bewusst inszenierten Darstellung in Anlehnung an eine Werbe-Kampagne, in eine Linie mit AIDS gestellt. Eine klare Entmenschlichung.

Aber auch demokratiefeindliche Positionen haben Platz in der Gruppe. So fordert Mitglied Franzi B. „die da oben“ zu stürzen und wünscht sich stattdessen einen Kaiser in Deutschland zurück.

Natürlich darf nicht fehlen, dass ein Mitglied auch von der ganz großen Verschwörung, Außerirdische seien die wahren Herrscher auf diesem Planeten und hätten Marionetten in allen wichtigen Entscheidungsfunktionen installiert, fehlen.

Konspiratives Treffen

Am 29. April fand ein konspiratives Treffen von ca. 10 Personen der Telegram-Gruppe am Baldeneysee statt, auf dem besprochen wurde, welche Aktionen für Essen geplant werden sollen. Der Treffpunkt wurde vorab nicht genau bekannt gegeben, denn man wollte unter sich bleiben.

Eine solche Strategie kennt man von rechten Gruppierungen, die wissen, dass ihr Treiben Gegenprotest erregen wird.

„Baldeneysee oder Umgebung“ – Verschleierung des Treffpunkts.

Aktueller Plan

Die Gruppe hat sich darauf geeinigt am 01. Mai eine Aktion einer gleichartigen Gruppe in Dortmund zu unterstützen. Dort soll eine Massenmeditation gegen Corona stattfinden.

Für den 02. Mai plant sie eine eigene Aktion in Essen auf zwei verschiedene Art und Weisen.

Auf der einen Seite wird für eine Versammlung auf dem Kennedyplatz Weberplatz geladen, bei dem von besagtem Widerstandsrecht Gebrauch gemacht werden soll.

Auf der einen Seite soll es ab 14:15 Uhr einen Aufzug vom Haupteingang der Gruga über die Rüttenscheider Straße und durch den Hauptbahnhof bis zum Kennedyplatz geben. Hierbei würde es sich um eine Ankündigung zum Verstoß gegen die Coronaschutzverordnung handeln. Demonstrationen werden derzeit in aller Regel von den Behörden aufgrund des Infektionsrisikos nicht und stationäre Versammlungen nur unter strengen Beschränkungen und Vorgaben genehmigt.

Interessantes Detail ist der Appell an die eigene Gefolgschaft keine Symbolik zu nutzen, die gegen sie verwendet werden könnte. Offenbar wissen die Organisator*innen, dass Personen angelockt werden, die bereits mit ihrem Outfit alleine für Stirnrunzeln sorgen werden.

Influencer*innen

Um größere Breitenwirkung zu erzielen plant die Gruppe Influencer*innen anzusprechen. Ein Influencer sozusagen, Marcel Wojnarowicz, genannt „Wojna“, der verschwörungstheoretischen und in der Szene recht populären Band „Die Bandbreite“, veröffentlichte bereits ein Video, in dem er in Aussicht stellte, am 02. Mai bei der Versammlung der Essener Gruppierung einen Redebeitrag zu halten. Er wies die Zuhörenden außerdem an an den A40-Autobahnbrücken Transparente mit Aufschriften wie „Corona ist eine Lüge“, oder „Machtergreifung Merkel 2020“ anzubringen.

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