Redebeitrag: Die AfD ist weder Freund noch Helfer!
Wir dokumentieren unseren Bündnisredebeitrag zur AfD-Mahnwache auf dem Hirschlandplatz am 20.06.2020 im Wortlaut:
Liebe Freundinnen und Freunde,
herzlichen Dank, dass ihr hier heute so zahlreich erschienen seid! Vielen Dank, dass ihr euch heute der AfD und sich den von ihnen kolportierten Parolen gegenüber quer stellt!
Wir hatten lange keine Demonstrationen rechter Parteien und Organisationen in Essen! Und, ich muss sagen: Wie großartig bitte war das? Das war phantastisch und etwas zum dran gewöhnen! Und doch ist es heute wieder so weit, dass sich eine rechte, in weiten Teilen rechtsradikale, rassistische und protofaschistische Partei hier in Essen auf den Hirschlandplatz stellt, um sich vorgeblich an die Seite der Polizei zu stellen. Das ist ein billiges und leicht zu durchschauendes Schauspiel, was hier abgezogen wird!
An diesem Ort, an dem wir stehen, mag sich der ein oder die andere noch gut erinnern. Wir stehen heute auf dem Hans-Toussaint-Platz. Die AfD auf dem Hirschlandplatz. Vor 4 Jahren hat sich hier ganz ähnliches zugetragen: Dort drüben stand die selbsternannte Gruppe „Bürger gegen Politikwahnsinn“ unter der Ägide der Gallionsfigur Holm Teichert. Die Gruppe hat Essen ein ganzes Jahr heimgesucht und Monat um Monat auf diesem Platz rassistisch, islamophob und antidemokratisch gehetzt. Heute steht der verlängerte Arm, der parlamentarische Flügel der damaligen Wutbürger*innen da auf dem Platz und verkörpert all das, was sich die damaligen Hetzerinnen und Hetzer schon gewünscht haben: Schließung von Grenzen mitsamt Schießbefehlen, die Zerstörung der Europäischen Union, institutionalisierter Hass und Hetze gegen Minderheiten – Muslime, nichtheterosexuelle Menschen, Jüdinnen und Juden.
Die Alternative für Deutschland ist eine Partei, die auch hier in Essen ganz besondere Bezugspunkte hat. Auf einem Bundesparteitag, sowie einer Landeslistenwahl wurde jeweils für einen deutlichen Richtungswechsel gestimmt. Jedes Mal ein Richtungswechsel nach scharf rechts. Und wir sollten uns alle einmal vor Augen halten, wie sehr, wie radikal sich die Partei nach rechts verschoben hat: Wenn wir heute an Professor Bernd Lucke denken, einen der Gründer der damals noch „euroskeptisch“ genannten Partei, dann wirkt er geradezu bieder, handzahm und fast schon „normal“. Und sogar Frauke Petry, die damals beim ersten Essener Showdown den Längeren gezogen hat und die Partei erstmals nach scharf rechts zog, wirkt gegen die heutige Meuthen-Weidel-Höcke-AfD geradezu wie eine nette Person. Das politische Schema und Wertesystem, das sehen wir ganz deutlich, wurde konstant und radikal nach rechts verschoben. Positionen, die vorher unsagbar gewesen sind, wurden stetig geschliffen und weiter normalisiert.
Die AfD ist die Partei im Deutschen Bundestag, die inzwischen selbst ohne vorgehaltener Hand hetzt und immer mit einem Fuß beim auf dem rechten Auge so oft blinden Verfassungsschutz in der Beobachtungsliste steht. Und das, liebe Freundinnen und Freunde, will etwas heißen!
Heute versuchen sie also, sich bei der Polizei anzubiedern. Ihr Motto lautet dazu „Für uns noch immer Freund und Helfer“. Damit versucht die Partei einen Zug aufzuspringen, den es eigentlich gar gibt. Mit dem Untermotto „Deutsche Polizisten sind keine Rassisten“ wird eine Scheindebatte eröffnet, die so ohnehin niemand führt. Niemand sagt, dass alle Polizistinnen und Polizisten Rassistinnen und Rassisten sind. Niemand würde das ernsthaft behaupten. Doch genau das phantasiert die AfD herbei, nur, um sich dann dagegen zu positionieren! Das ist absurd, das ist wohlfeil, das ist aber auch durchschaubar und eben genau das, was wir von der AfD kennen und gewohnt sind: Anheizen, Aufwiegeln, gegeneinander Ausspielen, und dann Ausnutzen der entstehenden Situation.
Das Gegenteil, keine Polizistin und kein Polizist seien Rassistinnen oder Rassisten, ist aber ebenso verkehrt. Die Mitte-Studien belegen seit Jahren, dass xenophobe, rassistische und antisemitische Einstellungen in der Breite der Gesellschaft existieren. Mehr noch: Sie sind sogar sehr weit verbreitet.
Die Polizei ist in gewissem Sinne ein Abbild eben dieser Gesellschaft. Wie soll denn, liebe Freundinnen und Freunde, da nicht auch der ein oder die andere Rassist*in dabei sein? Das funktioniert einfach nicht! Die Polizei ist eine Institution, die definitiv Rassistinnen und Rassisten in ihren Reihen hat. Aber auch Jobcenter tun das, Bäckereien, Schulen, oder der Einzelhandel. Zu behaupten die Polizei sei rassistisch, ist aber genauso absurd, wie zu behaupten der Osten Deutschland sei rechtsradikal oder der Islam fundamentalistisch.
Das, was in der aktuellen und durch den Mord an George Floyd ausgelösten Situation derzeit diskutiert wird, sind strukturelle Rassismen. Also solche, bei denen nicht das Individuum – der Polizist oder die Polizistin – betrachtet wird, sondern das große Ganze, die Mechanismen dahinter, erlernte Denk- und Handlungsmuster und Praxen, die auf einem darunter liegenden Rassismus fußen oder davon gefärbt sind. Auch in Deutschland erleben Menschen aufgrund der Hautfarbe verbale und physische Gewalt. Es handelt sich nicht um ein amerikanisches Phänomen.
Eine dieser Praxen ist das Racial Profiling, bei der Menschen allein aufgrund ihrer äußeren Merkmale verdächtigt und kriminalisiert werden. Racial Profiling trifft Menschen, die ein vermeintlich ähnlich Aussehen haben und macht sie dadurch verdächtig. Racial Profiling schreibt damit einer riesigen und unbescholtenen Personengruppe gleiche oder ähnliche kriminelle Hintergründe, Strukturen, Einstellungen und Zusammenhänge zu. Racial Profiling ist rassistisch. Und das ist ein institutionalisiertes Problem!
Statt Kritik an institutionalisiertem Rassismus ernst zu nehmen und Betroffenen unvoreingenommen Gehör zu schenken, wird sie derzeit leider von vielen Seiten abgeschmettert. Das Interview mit dem Polizeipräsidenten Frank Richter ist da ein Lehrstück, wie Kritik abgewiegelt werden kann. Aber genau hier müssen wir ansetzen und den Finger wieder und wieder in die Wunde legen: Die Polizei ist keine per se rassistische Institution, aber eben eine besondere. Sie ist die Exekutive dieses Landes und ausführendes Organ des Gewaltmonopols dieses Staates. Von allen Institutionen darf daher SIE am aller wenigsten rassistische Praxen ausüben und muss Rassistinnen und Rassisten konsequent aus ihren Kreisen ausschließen. Eine Null-Toleranz-Politik, quasi. Dafür ist – und das wird glücklicher Weise durch die derzeitige Debatte befeuert – notwendig, dass aufkommende Kritik nicht abgebügelt wird, sie stattdessen erst genommen und offen reflektiert wird.
Die AfD, die Partei der Schießbefehle, Hitlerbildchen, der „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“, die Partei des „Vogelschisses der Geschichte“, der des „Denkmals der Schande“ kann dabei naturgemäß keine Verbündete sein. Sie steht für die Verfestigung von rassistischen Praxen ein. Sie will sie verschärfen und demokratische Kritik an der Polizei am liebsten komplett unterbinden.
Mit ihrer hanebüchenen Solidaritätsgeste heute und bundesweit versucht die AfD von ihren eigenen Skandalen abzulenken: Von beispielsweise einem Björn Höcke, der auf Nazi-Demonstrationen mitgelaufen ist, oder einem Andreas Kalbitz, der auf einem Sommercamp der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ war. Übrigens alles herausgefunden, dokumentiert und archiviert von antifaschistischen Bündnissen und Recherchekollektiven. Ohne diese, die konstant und seit vielen Jahren schon Aufklärungs- und Aufdeckungsarbeit leisten, wüssten wir von vielen rechten und rechtsradikalen Bezügen der AfD nichts. Ohne ihre so wichtige Arbeit, wären Bezüge zwischen dem Mörder von Walter Lübke und der AfD wohl niemals der Öffentlichkeit bekannt geworden.
Das, liebe Freundinnen und Freunde, ist letzten Endes auch der Grund dafür, warum sie uns, Antifaschistinnen und Antifaschisten, verbieten möchte. Gestern ist sie damit im Bundestag gescheitert. Aber sie wird es wieder und wieder versuchen. Die AfD ist der Totengräber der Demokratie.
Liebe Freundinnen und Freunde, Frank-Walter Steinmeier hat vor wenigen Tagen ganz richtig gesagt: „Es reicht nicht aus, kein Rassist zu sein. Wir müssen Antirassisten sein.“
Dem möchten wir uns heute anschließen. Lernen wir Antirassismus, üben wir Antirassismus. Heute, an einem Tag, an dem eine rassistische und in weiten Teilen faschistische Partei auf den Plan tritt, soll uns ein guter Übungsplatz sein!
Vielen Dank, dass ihr alle hier seid!