NRW erwacht – Analyse der Mobilisierung

NRW erwacht – Analyse der Mobilisierung

Für kommenden Sonntag, den 11.12.2022, mobilisiert der Zusammenhang „NRW erwacht!“ zu einer „Großdemonstration“ in Essen. Höchste Zeit für einen Blick in die Mobilisierung der Schwurbel-Szene.

Der Zusammenhang „NRW erwacht!“ ist bereits in der Vergangenheit in Erscheinung getreten. In Städten wie Oberhausen, Wuppertal oder Düsseldorf konnten mehrere hundert Personen aus der Szene der Corona-Leugner*innen, Querdenker*innen, Verschwörungsideolog*innen und Reichsbürger*innen mobilisiert werden.

Der Name der Gruppe knüpft an die in Verschwörungskreisen beliebte Erzählung von „schlafenden“ Personen an, die erst „geweckt“ werden müssten. Sie erinnert jedoch zeitgleich frappierend an die Parole „Deutschland, erwache!“ aus dem sogenannten „Sturmlied“ von Dietrich Eckart. Eckart war ein überzeugter Nationalsozialist, der von Adolf Hitler in seinem Werk „Mein Kampf“ mit einer Widmung bedacht wurde. Die Zweideutigkeit des Gruppennamens ist nicht zufällig gewählt, sondern muss als Reminiszenz an die Zeit des Nationalsozialismus gewertet werden.

In gleich mehreren Mobilisierungsvideos offenbart die Gruppe ihre politische Verortung und Agenda. Untermalt mit aggressiver Musik, dient für die Grafik des ersten Mobilisierungsvideos ein Plakat des Films „1984“ als Vorlage. In seinem dystopischen Roman „1984“ stellt Autor George Orwell einen totalitären Überwachungsstaat dar. Die Querdenken-Szene behauptet ebenso in einem totalitären Staat zu leben und nutzt daher das Allessehende Auge – Big Brother – als markantes Erkennungszeichen.

Screenshot aus der Telegram-Gruppe von “NRW erwacht”

Jedoch wird die Vorlage aus urheberrechtlichen Gründen nicht detailgetreu übernommen. So weist das im Mobilisierungsmaterial genutzte Auge ausgerechnet Flammen statt Wimpern auf. Laut den Verantwortlichen von „NRW erwacht!“ sollen die Flammen die Szene selbst darstellen, die „gegen den Kaninchenbau“ kämpft. Ebenfalls eine beliebte Erzählung eines totalitären Tiefen Staates.

Die im Auge dargestellte Reflexion wird von den Verantwortlichen als Logo des Betriebssystems Microsoft Windows interpretiert. Dahinter verbirgt sich die Verschwörungstheorie, Bill Gates, Gründer von Microsoft, würde die WHO (World Health Organization) steuern und der Bevölkerung durch Impfungen schaden wollen.

Die dargestellte Iris ist ein in 17 Segmente geteilter Ring. Die 17 Elemente spielen auf die 17 Ziele der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung an. Hinter Zielen wie „Keine Armut“, „Kein Hunger“ oder „Maßnahmen zum Klimaschutz“ sehen die sich sammelnden Querdenker*innen „Kommunismus einführen“, „Gentechnik Lebensmittel“ und „Öko-Diktatur & Geoengineering“ und meinen „Die Agenda ist nicht deine Zukunft. Sie wäre unser aller Untergang.“ Kurzum wähnt die Szene, es handle sich um „Ziele für eine neue Weltordnung“ und „um alle Völker zu unterwerfen“.

In einem weiteren Mobilisierungsvideo mit gleichermaßen aggressiver musikalischer Untermalung werden weitere Eckpunkte der zu erwartenden Szene offenbar:

  • Antiamerikanismus
  • Hass auf LSBTIQ*
  • Verharmlosung des Nationalsozialismus und
  • Personifizierung des Bösen.

Der stumpfen Parole „Ami Go Home!“ schließen sich insbesondere Personen aus dem Spektrum der Reichsbürger*innen-Szene an, die behaupten, Deutschland stünde unter amerikanischer Besatzung. Dass diese Forderung es so weit nach vorne in das Mobilisierungsvideo geschafft hat, ist ein Indiz dafür, wie weit sich Thesen der Reichsbürger*innen in die Querdenken-Szene geschlichen haben.

Gänzlich neu ist die offene Zurschaustellung des Hasses auf die LSBTIQ*-Community. Dargestellt wird im Video ein Regenbogen, der aus einer Mülltonne, die mit „Gender Ideologie“ beschriftet ist, entweicht. Das Ganze ist mit „Stop“ in Großbuchstaben überschrieben und mit dem Zusatz versehen, es handle sich um einen „Wahnsinn“. Mit größter Sorge müssen wir beobachten, dass die Szene, die sich selbst als masken- und maßnahmenkritisch sieht, nun auch offen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zur Schau stellt. Sie begibt sich damit in Gesellschaft von Reaktionären, Erzkonservativen und Rechten.

Wenn in der Mobilisierung von „Grün ist das neue braun“ schwadroniert wird, handelt es sich dabei um nichts Geringeres als eine Verharmlosung des Rechtsradikalismus und folglich des Nationalsozialismus und modernen Rechtsterrorismus. Es handelt sich um eine unsägliche Gleichsetzung, die jedoch ganz bewusst immer wieder wiederholt wird.

Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach wird ebenfalls als Hassobjekt verarbeitet. In einer Sequenz werden ihm in einem stilisierten Bild Spritzen statt Augen montiert, die finstere Absichten bei Impfkampagnen darstellen sollen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass Lauterbach von einer mutmaßlichen Terrorgruppe entführt und danach die Regierung gestürzt werden sollte.

Darüber hinaus weist die gesamte Bildsprache der Mobilisierung ein antisemitisches Muster auf. Wenn im Mobilisierungsvideo ein Allessehendes Auge dargestellt wird, oder der Satz „WEF is watching you!“ fällt, stehen Auge und das World Economic Forum stellvertretend für eine finstere Runde der Eliten, die in Hinterzimmern die Geschicke der Welt strickt und alles überwacht. Schon lange wird das Bild verbreitet, „der Jude“ ziehe heimlich im Hintergrund die Strippen und lenke so die Weltgeschehnisse.

Alles in Allem ist mit einer zusätzlich radikalisierten und sich weiter radikalisierenden Gruppe am Sonntag zu rechnen, die sich zwar nach außen hin möglichst bieder und anschlussfähig zeigen will. Im Inneren aber regieren sehr ernstzunehmende, demokratiefeindliche Einstellungen.


Essen stellt sich quer ruft daher zu einer Versammlung “Rote Karte für Schwurbler” auf:

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