Redebeitrag “Rote Karte für Schwurbler!

Redebeitrag “Rote Karte für Schwurbler!

Im Folgenden veröffentlichen wir unseren Redebeitrag zur Versammlung “Rote Karte für Schwurbler!”.

Liebe Freund*innen, liebe Antifaschist*innen,

ich möchte mich ganz herzlich im Namen des Bündnisses Essen stellt sich quer für euer zahlreiches Kommen bedanken. Trotz dessen, dass heute Sonntag ist und trotz der beißenden Kälte.

Der Zusammenhang „NRW erwacht!“ hat für heute nach Essen mobilisiert, und sagt, Zitat, „Wir ziehen dem System den Stecker“. Was genau die Gruppe mit „System“ eigentlich meint, bleibt schleierhaft. Denn es wird ganz bewusst darauf verzichtet das, wogegen sie sich eigentlich stellen, konkret zu bezeichnen.

Vielmehr wird durch diffuses Ängsteschüren und gezielte Desinformation ein Klima geschaffen, in dem sich antidemokratische, autoritäre, kurzum brandgefährliche Einstellungen breit machen können und festigen sollen.

In gleich mehreren Mobilisierungsvideos, die beim bei Verschwörungsideolog*innen so beliebten Social Network Telegram hoch und runter geteilt wurden, offenbart die Szene aber, dass sie sich lange von der vermeintlichen „Kritik“ an Corona-Maßnahmen verabschiedet hat. Das überrascht nicht. Denn mit Beginn der Corona-Proteste hat sich sehr schnell herauskristallisiert, dass es um Protest und antidemokratische Bewegungen im Allgemeinen, nicht speziell um Corona geht.

Im Windschatten der Pandemie haben sich die Akteur*innen der Querdenken-Szene zum Ziel gesetzt, möglichst viele Personen zu vereinen und so eine relevante politische Masse zu werden. Dadurch finden wir heute bundesweit eine chaotisch wirkende Vermengung diverser Erzählungen und Anknüpfungspunkte auf den sogenannten Querdenken-Protesten wieder. Corona selbst ist dabei in den Hintergrund gerückt. Es war lediglich Vehikel für die Propagandist*innen.

Die Schwurbler*innen, die sich heute in Essen versammeln, tun das, weil sie sich hinter höchst problematischen Einstellungen versammeln können:

  • Plumpen Antiamerikanismus
  • Hass auf LSBTIQ*
  • Verharmlosung des Nationalsozialismus und
  • Personifizierung des Bösen

Insbesondere der offen zur Schau gestellte Hass auf die LSBTIQ*-Community hat uns in den Aufrufen überrascht. Denn dieses Motiv ist neu für die Schwurbel-Szene, die bislang von sich behauptet hat, sie würde die „Menschheitsfamilie“ vertreten und vereinen wollen. Dass in der Mobilisierung ein Regenbogen aus einem Mülleimer kommend dargestellt wird, zeigt eindrucksvoll, dass der Hass auf Marginalisierte und Minderheiten in der Szene eklatant ist. Es handelt sich um offen zur Schau gestellten Hass. Um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Ein weiteres Kernmotiv der sich heute versammelnden Personen ist sekundärer Antisemitismus. Wenn sich die Personen hinter dem Motiv „WEF is watching you“, also, dass uns das World Economic Forum sinister beobachten würde, sammeln, knüpft das an ein antisemitisches Bild an, nach dem finstere Gestalten im Hintergrund die Geschicke der Welt lenken und Strippen ziehen, um eine sogenannte „Neue Weltordnung“ herbeizuführen. Das WEF ist dabei nur einer der Codes, die für Jüdinnen und Juden verwendet wird. Wahlweise nutzt man auch „Rockefellers“, die „Ostküste“, „Hollywood“ oder „Bilderberger“.

Wie stark der Antisemitismus innerhalb der Bewegung verwurzelt ist, zeigen uns nicht nur Graffitis in Essen, die wir in den letzten Jahren sehen mussten. Dort wurde beispielsweise von einem „Impfholocaust“ gesprochen oder „Impfen macht frei“ gekritzelt. In einem Aufruf der heute auch anwesenden Strukturen aus dem Bergischen Land wird eine Bildmontage genutzt, in dem ein Bild aus dem zerbombten Dresden und eine Person, die geimpft wird, gezeigt wird. Betitelt ist das Ganze mit „Dieser Krieg ist nicht vorbei“, was zum einen auf den bei Rechtsradikalen beliebten Bild des sogenannten „Bombenholocausts“ zurückgeht und es auf Impfungen erweitert.

Das, liebe Freundinnen und Freunde, ist ganz klarer, widerwärtiger und beißend offensichtlicher Antisemitismus, unter dem sich die Anwesenden heute versammeln. Vielmehr: Das hat sie mobilisieren können.

Wir sehen heute also keine „normalen“, keine „harmlosen“ Schwurbler*innen. Wir sehen eine Momentaufnahme einer sich zunehmend radikalisierenden Szene. Wir wissen, dass für heute auch in rechtsradikalen Kreisen für die Teilnahme an dieser Versammlung aufgerufen wurde. Die Querdenken-Gruppe „Ruhrpottlöwen“, die sich freitags in Essen-Borbeck trifft, ist heute anwesend. Bei ihnen geben inzwischen rechtsradikale Hooligans den Ton an. Man hat kein Problem damit, selbst Claus Cremer von der NPD herzlich willkommen zu heißen und freut sich über die Teilnahme der „Steeler Jungs“, die im Übrigen auch heute mit anwesend sein wollen.

Dass auch die „Steeler Jungs“ an derartigen Versammlungen teilnehmen, ist mindestens bemerkenswert. 2020 haben sie in Steele versucht, auf den Anti-Corona-Zug mit aufzuspringen, sind aber krachend gescheitert. Sie heute hier mit dabei zu sehen ist aber nur folgerichtig. Denn seit Jahren ist ihre Strategie die Bildung einer Mischszene, also das Zusammenbringen unterschiedlicher Gruppen.

Exakt dasselbe sehen wir in der Querdenken-Szene: Ob tatsächliche Maßnahmen-Kritiker*innen, Russland-Fans, radikale Christ*innen, Verschwörungsideolog*innen oder Reichsbürger*innen werden unter einem Schirm zusammengebracht und sollen vereint werden.

Die Querdenken-Szene ist ein Bassin, das als Rekrutierungsort für Antidemokrat*innen jedweder Couleur dient.

Wie gefährlich diese Mischszene ist, ist in der letzten Woche zumindest für einen kurzen Augenblick in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Vergangenen Mittwoch fand eine deutschlandweite Razzia in der Reichsbürgerszene statt, die auch in die Querdenken-Szene eingebunden ist. Die Gruppe plante einen Angriff auf den Bundestag und wollte einen Umsturz herbeiführen, der die Demokratie abschafft. Bei den Durchsuchungen wurden legale, wie auch illegale Waffen gefunden: Neun-Millimeter-Pistolen, Schwerter, Messer, Elektroschocker, Gefechtshelme und Nachtsichtgeräte, Armbrüste.

Bei der Gruppe gab es nicht nur einen monarchistischen Arm, der einen König einsetzen, sondern auch einen paramilitärischen Arm, der am nahenden „Tag X“ mit Waffengewalt putschen wollte. Besonders erschreckend ist, dass abermals Personen der KSK, der Eliteeinheit der Bundeswehr, und Polizeibeamte es waren, die den bewaffneten Kampf führen wollten. Das sind an der Waffe ausgebildete, trainierte Personen, teils mit Zugängen zu sensiblen Informationen. Beispielsweise war einer der Beamten als Staatsschützer ausgerechnet für den Bereich Rechtsextremismus zuständig.

Besorgniserregend sind bereits die 25 festgenommenen Personen. Wirklich erschreckend sind die Geflechte und die Netzwerke, in denen sie sich bewegen und in den sie wirken. In denen sie mobilisieren können.

Die uns heute gegenüberstehende Gruppe stellt eine Vernetzungs- und Vorfeldorganisation für Schlimmeres dar. Das Ängsteschüren und Verschwörungsmythen dienen als Einfallstor für antidemokratische Einstellungen. Eine in den sozialen Medien geschaffene Echokammer entfernt die Mitglieder immer weiter aus der Gesellschaft. Personen werden gezielt isoliert. Reichsbürger*innen und Rechtsradikale, wie die „Steeler Jungs“, nutzen die Szene, um das Gift ihrer politischen Agenda kontinuierlich einfließen zu lassen. Sodass sich die Szene insgesamt immer weiter radikalisiert und bereit für den nächsten Schritt ist.

Dass das kein Hirngespinst, sondern sehr real ist, lässt sich allein schon dadurch belegen, dass auch „Steeler Jungs“ am 29. August 2020 dabei waren, als eine radikalisierte Querdenken-Szene versucht hat, das Reichstagsgebäude nach amerikanischem Vorbild zu stürmen. Die Bilder haben wir noch alle vor Augen.

Es ist höchste Zeit, den Schwurblern heute die rote Karte zu zeigen!

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!

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