Redebeitrag zum 09. November 2023

Redebeitrag zum 09. November 2023

Im Folgenden veröffentlichen wir den auf der Gedenkveranstaltung zum 09. November gehaltenen Redebeitrag im Wortlaut.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Teilnehmer*innen dieser Veranstaltung und auch liebe Passant*innen,

ich darf heute für das Bündnis Essen stellt sich quer einige Worte zum Gedenken an die schrecklichen Ereignisse an die sogenannte Reichspogromnacht an Sie und euch wenden. Heute vor 85 Jahren zeigte der virulente, eliminatorische Antisemitismus in Deutschland seine hässliche, menschenverachtende Fratze. Dieser Tag war ein ganz besonders schlimmer, jedoch kein Auftakt, sondern ein sich Zeigen einer gesellschaftlichen und politischen Grundstimmung, die in den weiteren Tagen, Monaten und Jahren immer bestialischer werden sollte. Das Plündern, das Brandschatzen geschah nicht im luftleeren Raum. Und es wurde nicht durch einige wenige ausgeübt und befürwortet, sondern von der breiten Masse der Gesellschaft gutgeheißen.

Wir gedenken heute derjenigen, die unter der barbarischen Herrschaft der Nationalsozialisten – aber getragen von der nahezu gesamten Gesellschaft – leiden mussten, die Hab, Gut, Freund*innen, Bekannte, Verwandte, einander verloren haben. Der Blick zurück ist bitter. Er bleibt bitter nötig.

Dennoch muss sich unser Blick von der Vergangenheit auch in die Gegenwart richten. Dass sich heute, 85 Jahre nach den Schreckensnächten des Novembers 1938 Jüdinnen und Juden wieder in Deutschland tarnen, verstecken, unsichtbar machen müssen, da sie sonst Anfeindungen, Bedrohungen und Gewalt ausgesetzt sind, ist ekelerregend.

Dass Mitglieder der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland, der Israelitischen Kultusgemeinde München, bitten müssen, die Jüdische Allgemeine fortan nur noch in neutraler, unscheinbarer Verpackung zu erhalten, aus Angst, als Jüdinnen und Juden identifizierbar zu sein, lässt uns eiskalt erschaudern. Dass Jüdische Einrichtungen und Privathäuser von Jüdinnen und Juden wieder mit Davidsternen markiert werden, lässt das Blut in den Adern gefrieren.

In Essen ist die Liste antisemitischer Vorfälle lang. 2014 rottete sich unter Vorwand des Nahost-Konflikts ein antisemitischer Mob zusammen und marodierte durch die Innenstadt. Jeremy R., der einen Anschlag auf das Don-Bosco-Gymnasium plante, hortete antisemitische Schriften. 2020 wurde die Neue Synagoge mit einer Betonplatte angegriffen. Letztes Jahr wurde sogar auf das Rabbinerhaus geschossen.

All das steht in einer Kontinuität einer immer weiter verrohenden gesellschaftlichen Mitte, in der Ressentiments nicht nur existieren, sondern – das zeigt die Mitte-Studie – sich erschreckenderweise auch noch immer weiter verfestigen und radikalisieren. Ausdruck dessen ist für uns die dieser Tage oftmals ausbleibende Solidarität mit den von Antisemitismus Betroffenen. Jüdische Stimmen berichten zuhauf davon, sich besonders in den Wochen seit dem bestialischen Angriff der Hamas am 7. Oktober isoliert, allein gelassen zu fühlen. Sie vermissen klare Solidarität und fühlen sich ob des dröhnenden Schweigens oftmals im Stich gelassen.

Die Lehre aus den Geschehnissen im November 1938 bedeuten daher für uns gerade jetzt – genau jetzt – heute und uneingeschränkt unsere Solidarität mit Jüdinnen und Juden zum Ausdruck zu bringen. „Nie wieder“ ist jetzt. Nicht nur an besonderen Tagen des Gedenkens, sondern jeden einzelnen Tag des Jahres.

Danke für die Aufmerksamkeit.

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