Rede von Johannes Brackmann

Rede von Johannes Brackmann

Auf der Kundgebung der #unteilbar – Demonstration las Johannes Brackmann, Geschäftsführer des Kulturzentrums GREND diesen offenen Brief vor:

Hallo ihr sogenannten Steeler Jungs,

mal abgesehen davon, dass schon euer Name das gesamt weibliche Geschlecht ausgrenzt, mal abgesehen davon, dass ihr euch jeden Donnerstag obskure Verstärkung aus Düsseldorf, Mönchengladbach und anderen Städten dazu holt, um eure Donnerstagsaufmärsche mengenmäßig aufzupeppen: wer glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid und was ihr hier vor Ort anrichtet?

Ja, ein Teil von euch kommt tatsächlich hier aus Steele, ja, es laufen auch Frauen und manchmal Kinder bei euren sogenannten Spaziergängen mit, ja, es gibt den oder die eine/n oder andere/ Steelenser, der sogar Sympathien für euch hat, aus welchen Gründen auch immer.

Dies ist allerdings keine Legitimation für euch, für den Stadtteil zu sprechen. Denn tatsächlich seid ihr eine kleine Minderheit , die genau das Gegenteil von dem tut, was ihr euch noch nicht mal auf eure fehlenden Fahnen und Transparente schreibt; nämlich: für Sicherheit im Stadtteil zu sorgen, (eure) deutschen Frauen und Kinder vor – eurer Meinung nach – messerstechenden Flüchtlingen und Migranten zu beschützen, die Merkelregierung für jedes Defizit in Deutschland verantwortlich zu machen, Hass und Unfrieden in den Stadtteil und in die Stadt zu bringen, Menschen zu verängstigen und zu bedrängen und auch anzugreifen, anstatt sich um Lösungen für tatsächliche gesellschaftliche Probleme und Defizite zu kümmern. Denn Angst ist genau die Essenz, die ihr, die AFD und andere rechte Gruppen brauchen, um überhaupt existieren zu können.

Ihr wisst doch, dass die Menschen hier eure nach außen gestellte Harmlosigkeit mittlerweile durchschaut haben? Spätestens bei eurem makaberen Trauermarsch für den am Frankfurter Hauptbahnhof getöteten Jungen am 1. August hier in Steele habt ihr offen und für alle sichtbar gezeigt, mit wem zusammen ihr eure menschenfeindliche Gesinnung vertretet: es waren hier in Steele u.a. vor Ort: – (und diese Leute kamen explizit nicht aus Steele):

• Siegfried Borchardt, besser bekannt als SS-Siggi, mehrfach vorbestrafter Aktivist und Gewalttäter der Freien Kameradschaften, Gründer der rechtsradikalen Borussenfront, ehemaliger Kreisvorsitzender der neonazistischen Partei „Die Rechte“

• Michael Brück, deutscher Rechtsextremist aus Dortmund, stellvertretender NRW-Landesvorsitzender der Partei „Die Rechte“, Führungsfigur der Neonaziorganisation Nationaler Widerstand Dortmund

• Alexander Deptolla, Hauptverantwortlicher des Neonazi-Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ und eng verbunden mit den sogenannten rechtsradikalen „Hammerskins“

• Henry Schwind, Mitglieder der Partei „Die Rechte“ im Kreisverband Gelesenkirchen/Recklinghausen

• Claus Cremer, Landesvorsitzender der neonazistischen und vom Verfassungsschutz beobachteten NPD und Aktivist der rechten Kameradschaftsszene

• Dominik Horst Roeseler, Gründer der HoGeSa (Hooligans gegen Salafisten), gewaltbereiter Organisator der rechtsradikalen und islamophoben Gruppe „Mönchengladbach steht auf“

Es ist einfach unfassbar: Mit diesen Rechtsradikalen wollt ihr die Bürger und Bürgerinnen hier in Steele schützen? Eure nach außen zur Schau gestellte friedliche Fassade bröckelt, seitdem ihr eure skurrilen Aufmärsche hier in Steele veranstaltet. Ja, es gibt einen Haufen Probleme in diesem Land, ja es gibt ein Versagen der Politik – und ja, es gibt enorme wirtschaftliche Kräfte, die ein Interesse daran haben, dass die Verantwortung für die Probleme hier im Land pauschal bei Flüchtlingen und Migranten gesucht wird, und nicht bei Ihnen.

Ihr macht also nichts anderes, als die Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung auszunutzen, ihr bietet keine einzige Lösung an, ihr tragt ja noch nicht mal eure Meinung und Forderungen nach außen, aus lauter Angst, euch angreifbar und kritisierbar zu machen. Bei all eurer gespielten Harmlosigkeit, eurem gleichzeitig martialischen Auftreten, eurer First-Class-Verkleidung und bei all eurer scheinheiligen und geheuchelten Sorge um den Stadtteil; das ist weder Stärke noch Courage, das ist im Gegenteil ausgesprochen feige, verantwortungslos und destruktiv.
Sorry, Steeler Jungs, ihr seid nun mal einfach eine ziemlich feige Gurkentruppe!

Übrigens: Ihr wisst doch, dass die lt. polizeilicher Statistik die Kriminalitätsrate in den vergangenen 10 Jahren um 9,1,% zurückgegangen ist? (Quelle: PKS, 2018, S. 26).

Ihr wisst doch bestimmt auch, dass es gleichzeitig eine Zunahme auf mehr als 20.000 registrierte Straf- und Gewalttaten von Rechtsextremisten in Deutschland gab (Quelle: Innenministerium, Mai 2019). Und ihr wollt – mit Unterstützung dieser kriminellen Gewalttäter – die Bürger und Bürgerinnen in Steele beschützen? Sicher nicht! Im Gegenteil: stattdessen seid ihr es, die Angst und Unfrieden in den Stadtteil bringt; in der Hoffnung, euch an den verunsicherten Teil der Bevölkerung anzudocken und auf deren Sympathien und Unterstützung zu hoffen. Das wird euch aber nicht gelingen!

Wenn ihr doch schon so besorgt um den Stadtteil und das Land seid; warum demonstriert ihr eigentlich nicht für die Abschaffung von Harz4, für die Einführung einer Vermögenssteuer, für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, für eine angemessene Grundrente, für die Eindämmung prekärer Beschäftigung, für ausreichenden sozialen Wohnungsbau, für Investitionen in die Infrastruktur, für kostenlosen Nahverkehr, für eine gerechte Bildungslandschaft und vernünftig ausgestattete Schulen, für die ernsthafte Bekämpfung von Fluchtursachen, für ausreichende Mittel zur Integration, für die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und Steuerschlupflöchern? Und, und, und…

Wo das Geld dafür herkommen soll? Ihr müsstet doch sicher wissen, dass dem deutschen Staat allein durch die kriminellen sogenannten Cum-Ex-Skandale zwischen 2001 und 2006 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen sind? (Quelle: NRZ). Ihr wisst doch bestimmt auch, dass 2018 die Kosten für Flüchtlinge in Deutschland dagegen nur bei 23 Milliarden Euro lagen? (Quelle: Handelsblatt 25.5.2019) Wo bleibt da euer Aufschrei? Glaubt ihr wirklich, dass Flüchtlinge in Deutschland irgendjemandem was wegnehmen würden, dass auch nur ein Hartz4-Empfänger einen Euro mehr ohne Flüchtlinge bekommen hätte?

Wisst ihr eigentlich. dass sich die soziale Ungleichheit lt. einer Studie von Oxfam vom Sommer diesen Jahres massiv verschärft hat? Dass die deutschen Milliardäre ihr Vermögen im vergangenen Jahr um 20% steigern konnten; dass das reichste Prozent der Deutschen über soviel Vermögen verfügt, wie die 87 ärmeren Prozent und sich die Zahl der Milliardäre seit der Finanzkrise vor 10 Jahren mehr als verdoppelt hat?

Steeler Jungs, in welcher Blase lebt ihr eigentlich? Wer flüstert euch eigentlich täglich ein, das Flüchtlinge und Migranten an allen Problemen im Land Schuld sind? Warum nutzt ihr nicht mal euren eigenen Kopf zum Denken? Stattdessen glaubt ihr unkritisch an das, was täglich an Grusel über eure sozialen Medienkanäle hereinkommt.

Noch eins: anfänglich hatte ich tatsächlich so was wie Respekt vor euch; eure Reaktionen auf den Gegenprotest des Bürgerbündnisses Steele bleibt bunt waren durchaus Ideenreich; vom Verteilen von Nikoläusen aus Schokolade vor Weihnachten, eure bunten Luftballons im Frühling, eure weißen T-Shirts im Sommer. Aber nachdem klar war, mit welchen rechtsradikalen Straftätern ihr euch verbündet habt und welche gruselige Hetze Mitglieder von euch in den sozialen Medien gegen alles Fremde und Andersdenkende betreiben , hab ich auf jeden Fall jeden Respekt vor euch verloren.

Aber vielleicht gibt es ja in eurer Truppe doch den oder die ein oder andere/n, der/die bisher aus Loyalität einfach nur mitgelaufen ist oder noch einen Funken Anstand und ein bisschen Menschlichkeit im Bauch hat. Diese Menschen sollten sich nun ernsthaft fragen, was ihr wirklich wollt – und welche schrecklichen Konsequenzen eure Ausgrenzungsideologien für das Zusammenleben unterschiedlichster Menschen hier in Steele und im Land haben kann. Und diese Menschen sollten gleichzeitig auch wissen:

Es gibt eine Alternative zu eurer Kultur von Hass, Hetze, Ausgrenzung und Gewalt!

In diesem Sinne,
Steele und der Pott ist und bleiben unteilbar!
mit angstfreien Grüssen,
Johannes Brackmann, Geschäftsführer des GREND und unfreiwilliger Nachbart

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