Razzien in Essen – Narration und Inszenierung
Wir dokumentieren hier im Folgenden einen unserer Twitter-Threads.
Gestern fand eine Razzia in Essen und weiteren NRW Städten statt. Ein Terrorist geht in eine Shisha-Bar und ermordet 10 Menschen in Hanau. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Eine Einordnung.
Bei einer gestern stattgefundenen Razzia in NRW gegen illegales Glücksspiel lag ein Fokus auf Essen. Innenminister Herbert Reul
ist eigens dafür angereist, um die Razzia zu begleiten. Unterstützt wurde er dabei durch Oberbürgermeister Thomas Kufen. Bereits 2019 gab es eine ähnliche Aktion, bei der es Reul für eine groß angelegte Razzia nach Essen verschlagen hatte. Beiden Aktionen sind zwei Sachen gemein:
- Das Narrativ
- Die öffentlichkeitswirksame Selbstinszenierung
Das Narrativ
In beiden Erzählungen über die Razzien stehen nicht die Formen der Kriminalität, die bekämpft werden soll im Vordergrund, sondern die Struktur der vermeintlich Kriminellen. Der Topos der „Clankriminalität“ steht im Fokus. Auch medial werden die justiziablen Taten zumeist nur beiläufig erwähnt: Konzentriert wird sich auf das, was die Polizei als „Clans“ bezeichnet. Eine Bezeichnung, die ausschließlich für die migrantische Community genutzt wird. In sämtlichen anderen Kontexten wäre die Rede von „organisierter Bandenkriminalität“.
Bereits diese Ungleichbewertung und -nennung ist hoch problematisch: Während bereits das „Aussehen“ – Haar- und Hautfarbe – der Nachname oder ggfs. der Wohnort reicht, um als „Clan“-Mitglied zu gelten, wird man nicht qua Geburt zum Mitglied einer Bande.
Damit determinieren Faktoren, auf die niemand der als potentielles „Clan“-Mitglied Gelesenen Einfluss hat bereits, ob man verdächtig ist, oder nicht. Anders bei Banden.
Die Inszenzierung
Innenminister Reul und Oberbürgermeister Kufen setzen mit ihrer Anwesenheit ganz bewusste Akzente, gerade im laufenden Wahlkampf. Das Bild soll sagen: „Die ‚Clan‘-Kriminalität ist Chef-Sache!“. Dass die beiden Top #CDU Politiker eine Razzia mit ihrer Präsenz adeln, soll die mediale Berichterstattung befeuern. Dass beide sich die Zeit nehmen, so die Erzählung, bedeute, dass „Clan“-Kriminalität ist besonders hoch gefährlich ist.
In Kombination mit dem diffusen und nicht greifbaren Begriff des „Clans“ wird dadurch ein schwammiges Unsicherheitsgefühl erzeugt:
- Weder ist greifbar, um wen es geht, denn potentiell könnte es jede*r sein.
- Noch wird klar umrissen, was „Clan“-Kriminalität bedeutet. Was auch immer sie ist – sie muss extrem gefährlich sein.
Insgesamt wird durch das Narrativ und die Inszenierung ein schwer kriminelles Bild von Menschen erzeugt, das aufgrund des exklusiven Begriffs „Clan“ für Migrant*innen, ausschließlich selbige undurchsichtig, ungeheuer, verdächtig erscheinen lässt.
Problematische Erzeugung von Bildern
Der Rechtsradikale, der vor 6 Monaten in Hanau 10 Menschen erschossen hat, hat die Shisha-Bar ganz bewusst ausgesucht. Hier waren die Menschen, die er so abgrundtief hasst. Hier scheint für ihn aber auch der Hort der Kriminalität zu sein.
Das erzeugte Bild von gerade Shisha-Bars als Hotspot der Kriminalität ermutigt Rechte und Rechtsradikale, sich immer weiter in ihren menschenhassenden Wahn zu steigern. Das Narrativ ist mit Wegbereiter für den Rechtsterrorismus.
Natürlich ist es keine logische Konsequenz durch das Narrativ zum Rechtsterroristen zu werden, oder dadurch am Laufenden Bande neue zu produzieren. Es bedient aber genau die rassistischen Vorstellungen, die in diesen Szenen gedeihen und befeuert sie. Selbstverständlich wirkt das gezeichnete Bild nicht nur bei Rechtsradikalen und Faschist*innen, sondern auch in der Breite der Bevölkerung und ist Wasser auf die Mühlen des allgemeinen Rassismus in der Gesellschaft.
Sprache hat Einfluss auf unsere Wahrnehmung.
Es ist höchste Zeit, dass endlich Begriffe genutzt werden, die sich nicht gegen einzelne Bevölkerungsgruppen richten und sie stigmatisieren! Gleichzeitig muss der Doppelstandard aufhören, dass sich medial besonders bei „Clans“ so (selbst) inszeniert wird!