Redebeitrag zum 09. November 2020

Redebeitrag zum 09. November 2020

Wir veröffentlichen im Folgenden unseren Redebeitrag zum 09. November 2020, dem 82. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 im Wortlaut:

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

es ist der 09. November 1938. Organisierte Nazi-Schlägertrupps ziehen marodierend durch die Straßen. Ihr Ziel: Jüdische Geschäfte, Synagogen, Wohnhäuser, Friedhöfe, Versammlungsräume – kurzum – jüdisches Leben in Deutschland zu vernichten. Sie sind erfolgreich. 400 jüdische Menschen werden in der Nacht auf den 10. November kaltblütig und brutal ermordet. Es ist ein weiterer Meilenstein in der Etablierung einer grauenhaften, nie da gewesenen und mit nichts zu vergleichenden Terrorherrschaft und der Beginn des industriellen Massenmordes an Jüdinnen und Juden. Die Reichspogromnacht ist eines der vielen, schrecklichen Gesichter des Nationalsozialismus in Deutschland.

Es ist der 17. April 2018. Ein Mann wird auf offener Straße mit einem Gürtel geschlagen, weil er eine Kippa trägt.

Es ist der 27. August 2018. Am zweiten Tag der Ausschreitungen in Chemnitz werden aus einer Gruppe von 10 bis 12 teils vermummten, unbekannten Personen Steine, Flaschen und Gegenstände auf ein koscheres Restaurant geworfen. Der Besitzer wird beleidigt und leicht verletzt.

Es ist der 09. Oktober 2019. Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht Stephan B. in die Synagoge im Paulusviertel in Halle an der Saale einzudringen, um die dort versammelten Personen zu töten. Nachdem sein Versuch scheitert, erschießt er vor dem Gebäude die Passantin Jana Lange und kurz darauf in einem Döner-Imbiss Kevin Schwarz. Der Täter streamt dabei live über das Internet, dutzende Menschen schauen zu.

Es ist der 02. November 2020. In Wien tötet ein Islamist vier Menschen und verletzt 23 weitere schwer, alles unweit der jüdischen Hauptsynagoge der Stadt.

Es ist der 3. November 2020. In Detmold werden die fünf Stolpersteine der jüdischen Familie Herzberg mit roter Farbe beschmiert.

Es ist 1980, 1990, 2000 und 2010. Es ist Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag und Sonntag. Es ist Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. Es ist ein Tag wie jeder andere. Ein Tag, an dem als Jüdinnen und Juden gelesene Menschen auf offener Straße beleidigt, bedroht, bespuckt oder geschlagen werden. Ein Tag, an dem schon wieder ein neues Graffiti mit „FCK Israel“ an der Mauer um die Ecke prangt. An dem rechte Netzwerke Drohmails an die Vorstände jüdischer Vereine verschicken. An dem „Du Jude“ immer noch ein beliebtes Schimpfwort unter den Kids auf dem Schulhof ist. An dem in Polizeichats Bilder von Menschen in Gaskammern herumgereicht werden. Ein Tag, an dem der Holocaust geleugnet wird. An dem Synagogen unter Polizeischutz stehen. Ein Tag, an dem jüdische Menschen überlegen, wie sicher sie in diesem Land noch sind. Ein Tag, wie jeder andere in Deutschland.

Es ist der 09. November 2020. Wir stehen hier zusammen, um der Opfer der Reichspogromnacht vor 82 Jahren zu gedenken, zu erinnern und zu mahnen, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Doch Antisemitismus ist Realität, der wir uns stellen und mit der wir uns auseinandersetzen müssen. Wir müssen zusammenstehen gegen jeden Antisemitismus – egal ob von rechts, von links, von Islamist*innen oder aus der Mitte der Gesellschaft – wo auch immer diese eigentlich sein soll. Wir müssen eingreifen, wo Unrecht geschieht. Widersprechen, wo Hetze und Hass verbreitet werden. Wir müssen klar sein in unseren Worten und konsequent in unseren Taten. Müssen mehr und lauter sein als die, die mit ihrem Antisemitismus das gesellschaftliche Klima verändern und bedrohen.

 Es ist der 10. November 2020. Morgen. Es ist unsere Aufgabe, dass dieser Tag ein besserer wird.

Hier gibt es eine Videoaufzeichnung der Rede vor der Alten Synagoge.

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