2020 – Unser Jahresrückblick aus antifaschistischer und antirassistischer Sicht

2020 – Unser Jahresrückblick aus antifaschistischer und antirassistischer Sicht

Das Jahr 2020 liegt hinter uns und damit auch 20 Jahre Essen stellt sich quer: Seit 20 Jahren stellen wir uns als großes zivilgesellschaftliches Bündnis gegen alte und neue Nazis, neo-und profaschistische Tendenzen und Rassismus in Essen.

Auch im vergangenen Jahr mangelte es nicht an Themen – detaillierte Infos und Artikel zu den hier erwähnten Komplexen findet Ihr auf unserer Homepage www.essq.de zum nachlesen.

20 JAHRE Essen stellt sich quer

Im Jahr 2000 als „Runder Tisch“ gegründet, besteht unser Bündnis jetzt seit unglaublichen 20 Jahren! Das wollten wir natürlich groß und mit zahlreichen Informationsveranstaltungen, Workshops und Kulturveranstaltungen feiern; und als die Planung stand – kam die Pandemie…

Da diese uns wohl noch einige Zeit beschäftigen wird, werden wir im nächsten Jahr, 2021, eine online- Veranstaltungsreihe mit tollen Referent*innen zu Themen wie den  „Steeler Jungs“, dem Polizeiskandal, der Extremismustheorie, der AfD und zu Antifeminismus durchführen. Infos bekommt Ihr über unsere Social Media – Kanäle und den Newsletter.

POLIZEI – zu viele Einzelfälle

Als im September rechtsradikale Chatgruppen bei der Essener Polizei aufflogen und der sich immer weiter ausweitende Skandal deutschlandweites, ja internationales Medienecho erhielt, kam dies für uns nicht wirklich überraschend. Seit längerem kritisieren wir das Verhalten der Polizei gegenüber zivilgesellschaftlich-demokratischem Widerstand gegen extrem rechte Veranstaltungen und wurden in unserer Einschätzung mehrfach gerichtlich bestätigt:

Das Hochladen von Klarfotos von Gegendemonstant*innen auf Social Media durch die Polizei wurde mittlerweile gerichtlich für unrechtmäßig erklärt. Ein durch die Polizei angestrebtes Verfahren gegen einen unserer Sprecher wegen „Beleidigung“ wurde in Ermangelung bereits eines Anfangsverdachts eingestellt. Er hatte anlässlich einer großen Gedenkveranstaltung infolge des rechtsterrorristischen Anschlags in Hanau auf Shisha-Bars das offensichtliche Racial Profiling der Polizei im migrantisch geprägten Stadtteil Essen-Altendorf angeprangert.

Offensichtlich wurde von offizieller Stelle die Anmeldung einer extrem rechten Veranstaltung in der Essener Innenstadt bis zuletzt nicht offen kommuniziert, um eine zu erwartende Gegendemonstration auszubremsen. Der Umgang der Polizei mit zivilgesellschaftlichem, demokratischem Protest gegen die Aufmärsche der extrem rechten, bürgerwehr-ähnlichen Gruppierung „Steeler Jungs“ war von Unverhältnismäßigkeit geprägt, die teils auch in ungerechtfertigter körperlicher Gewalt mündete.

Diese Punkte sind nur Teil einer ganzen Liste von Kritikpunkten an der Polizei, die wir im persönlichen Termin dem Polizeipräsidenten gegenüber geäußert und diskutiert haben. Zu diesem Zeitpunkt war der Skandal um den offensichtlichen strukturellen Rassismus schon in allen Medien und dauert an – eine von vielen Seiten geforderte neutrale Studie zum Thema lässt bislang auf sich warten.

„STEELER JUNGS“ – immer offener rechtsradikal

Apropos „Steeler Jungs“: 2020 zeigte sich abermals eine zunehmende Radikalisierung dieser Gruppierung. Durch unsere Recherche konnten wir personelle Zusammenhänge zur neuen Gruppe „Junge Patrioten Essen“ herstellen. Nach dem brutalen und heimtückischen Überfall auf unseren ehemaligen Sprecher im Dezember 2019  führte diese Anfang 2020 einen weiteren Anschlag auf unser Büro in den Räumen des Anti-Rassismus-Telefons mit Sachbeschädigung durch.

Trotz des Ausweichens zur russischen Plattform „VK“ (einem Facebook-ähnlichen aber weniger reglementierten sozialen Netzwerk) blieben uns die dort geposteten Hasskommentare und Nationalsozialismus-Verherrlichungen mit Hitlerbildchen und Hakenkreuz-Torten zum Geburtstag nicht verborgen.

Deutschlandweit bekannt wurden die „Steeler Jungs“ durch eine sehr gute und sehenswerte WDR-Reportage.

Wir konnten ebenfalls die für die rechte Mischszene typische Rekrutierung aus Hooligans, Rockern, Türstehern und Neonazis beobachten, so expandierten die „Steeler Jungs“ in der Kampfsportszene durch die Gründung bzw. Beteiligung der Gelsenkirchener „Guerreros“ und den Oberhausener „Fighting Forces“. Zusammen mit dem Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung führten wir eine Online-Veranstaltung dazu durch.

QUERDENKER – nach rechts offenes Leerdenken

2020 war und bleibt natürlich vor allem durch die Corona-Pandemie geprägt und den Effekten, die diese auf viele Bereiche des sozialen und solidarischen Miteinanders hatte und nicht zuletzt durch die Einschränkungen im Versammlungsrecht für unser Bündnis einige Veränderungen mit sich brachte.

Die sich als „Querdenker“ bezeichnende Bewegung zog Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen an: Esoteriker*innen, Verschwörungsgläubige, frustrierte Wutbürger*innen, Querfrontler*innen und viele mehr. Das Leugnen der Pandemie, die Ablehnung der ergriffenen Maßnahmen und die inhaltliche Vermischung mit den krudesten Verschwörungserzählungen wie „Q-Anon“ aus den USA ermöglichten eine Vereinnahmung der gesamten Bewegung durch neurechte und Neonazi-Gruppierungen, einen Anschluss an rechtspopulistische Ideen und Figuren aus dem Umfeld der AfD. Leitmotiv ist wie bei vielen Verschwörungserzählungen der oft versteckte, manchmal aber auch offensichtliche Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus.

Höhepunkte und gleichzeitig demokratische Tiefpunkte waren der „Sturm auf den Reichstag“ und von gewalttätigen Nazis angeführte Großveranstaltungen z.B. in Leipzig.  An einigen der Veranstaltungen nahmen auch Mitglieder der „Steeler Jungs“ teil. Diese versuchten auch den Essener Ableger der „Corona-Rebellen“ zu infiltrieren, der hier aber nicht so recht Fuß fassen konnte und deswegen seine Aktivität nach Düsseldorf verlagerte. Der Veranstaltung der Bochumer „Querdenker“ im November trat ESSQ mit zahlreichen anderen Organisationen erfolgreich entgegen.

AUF DER STRAẞE – trotz Corona

Noch vor der Pandemie gab uns die Regierungskrise in Thüringen im Februar Anlass zu lautstarkem Protest gegen die Tatsache, dass sich ein vorgeblich demokratischer Politiker der FDP mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lässt.

Im März sorgte eine von extrem rechten Akteuren*innen aus dem Umfeld von „Mönchengladbach steht auf“ und „HoGeSa“ in der Innenstadt angemeldete Demonstration für Irritationen, da die Ordnungsbehörden nähere Informationen über diese Veranstaltung bis zuletzt geheim hielten, um den demokratischen Gegenprotest auszubremsen. Trotzdem konnten wir sehr kurzfristig einen breiten und adäquaten Gegenprotest organisieren.

Auch der rechtsterroristische und rassistische Anschlag in Hanau brachte uns mit vielen anderen zu Kundgebungen auf die Straße, in deren Rahmen wir den strukturellen Rassismus in der Polizei kritisierten. Sechs Monate nach dem terroristischen Anschlag in Hanau organisierten wir zusammen mit der Seebrücke und der DIDF-Jugend eine sommerliche Demonstration mit Kundgebung im Stadtgarten.

Die zum Internationalen Tag gegen Rassismus geplanten Veranstaltungen und Reden fanden dieses Jahr pandemiebedingt als Online-Veranstaltung statt.

Im Sommer organisierte der als “Partybiker” bekannte Frank Schwung im Schulterschluss mit den extrem rechten Gruppierungen „NRW stellt sich quer”, “Steeler Jungs”, “Bruderschaft Deutschland” und dem rechtsradikalen Gründer der „HoGeSa“ und Kopf von “Mönchengladbach steht auf”, Dominik Horst Roeseler, eine große Veranstaltung mit Demo in Rüttenscheid. Ähnlich wie die Querdenker versuchte man hier, Motorradfahrer*innen, die wegen eines drohenden Sonntagsfahrverbots um ihre „Freiheit“ fürchteten, vor den Nazi-Karren zu spannen. Wie so oft wurde auch hier mehrfach gegen Hygiene-Auflagen verstoßen.

Die anlässlich des Gedenkens an die Novemberpogrome traditionell von der Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialisten/Bund der Antifaschist*innen (VVN-BDA) organisierten Veranstaltungen fanden coronabedingt in kleinerem Rahmen statt. Das Putzen der Stolpersteine in Steele und eine Versammlung vor der alten Synagoge hinterließ bleibende Eindrücke.

Wie aktuell die Losung „Gegen jeden Antisemitismus“ auch bei uns in Essen ist, zeigte der antisemitische Anschlag auf die neue Synagoge in der Sedanstraße im November, bei dem Fensterscheiben eingeworfen wurden.

2021 – WIE GEHT ES WEITER?

Trotz bald möglicher Impfung wird uns das Thema „Corona“ und damit die nach rechts offene bzw. offen rechte Querdenker-Bewegung weiter beschäftigen. Die Tatsache, dass sie inzwischen Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz ist (wie auch Teile der AfD und der Jungen Alternativen) ist wenig beruhigend. 2021 gilt es auch, den erneuten Einzug der profaschistischen AfD in den Bundestag zu verhindern.

Wir werden auch in 2021 weiter über diese Themen aufklären und unseren Protest auf die Straßen bringen!

Im Januar jährt sich der grausame Tod von Oury Jalloh in einer Zelle der Dessauer Polizeiwache zum 16. Mal. Auch in Essen sind Gedenkveranstaltungen geplant. Näheres erfahrt ihr über unsere Homepage www.essq.deoder die Sozialen Medien.

Am 12. Januar startet außerdem unsere monatliche Online-Veranstaltungsreihe „20 Jahre ESSQ“ mit einem Vortrag über die „Steeler Jungs“. Anmelden könnt ihr euch einfach mit einer E-Mail an info(ät)essq.de oder auf unserer Homepage unter https://essq.de/index.php/veranstaltungsreihe-20-jahre-essq/.

INTERESSE? MACH EINFACH MIT!

Pandemiebedingt trifft sich unser für jede*n Interessierte*n offenes Plenum zurzeit online. Wer einfach mal reinschnuppern möchte, kann sich einfach per E-Mail an info(ät)essq.de bei uns melden.

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