Neue Satzung: Die Problem-Fans von Rot-Weiss Essen

Neue Satzung: Die Problem-Fans von Rot-Weiss Essen

Der Essener Fußballdrittligist Rot-Weiss Essen (RWE) hat am Sonntag, den 26. Juni, seine Jahreshauptversammlung 2022 abgehalten. Neben Gedenken an die verstorbenen Mitglieder, Jubilar-Ehrungen, der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Wahl des neuen Aufsichtsrats entschieden 362 Stimmberechtigte in der Messe Essen auch über Satzungsänderungen.

Neben einer Verkleinerung von 11 auf 7 Aufsichtsratsmitglieder wurde auf gemeinsamen Antrag von Vorstand, Aufsichtsrat, Ehrenrat, Fan- und Förderabteilung (FFA) sowie der internen Fan AG hin über eine Änderung des §2 der bisherigen Satzung abgestimmt, der Zweck und Aufgabe des Vereins regelt.

In der Altfassung hieß es da:

Der Verein ist politisch und weltanschaulich neutral. Er verurteilt verfassungs- und fremdenfeindliche Bestrebungen und wendet sich konsequent gegen jede Form der Diskriminierung.

Auszug aus der 2021 verabschiedeten Satzung.

Problem-Fans seit langem bekannt

Rot-Weiss Essen weist seit geraumer Zeit eine in Teilen äußerst problematische Fan-Szene auf. Diese setzt sich aus rechtsradikalen und selbst vom auf dem rechten Auge blinden Verfassungsschutz beobachteten “Steeler Jungs”, den 2021 verbotenen “Bandidos”, Hooligans wie der “Alten Garde” und Kampfsportlern wie den “Guerreros” zusammen. Immer wieder finden sich Anhaltspunkte dafür, dass die rechtsradikale Szene sich mehr als nur wohl im Stadion in der Hafenstraße fühlt.

Zuletzt kam es bei Ausschreitungen in Münster, bei denen sich von Essener Hooligans ausgehend regelrechte Jagd-Szenen auf Anhänger:innen von Preußen Münster ereignet haben, zu 30 Verletzten. Mit an den Ausschreitungen beteiligt waren auch den “Steeler Jungs” zuzuordnende Personen.

Solche Gewaltexzesse sind allerdings nicht neu. Schon 2013 kam es im AWO-Fanprojekt zu einem Vorfall, bei dem eine Filmvorführung über Rechtsrockkonzerte von Essener Hooligans verhindert wurde, da die Veranstaltung “politisch” sei. Damals drohten die Personen: “Gut, dann kommen wir in einer Stunde mit 30 bis 40 Leuten mehr vorbei und nehmen den Laden auseinander.” Angesichts dieser Gewaltdrohungen wurde die Veranstaltung seinerzeit abgesagt, um das Fanprojekt und die Anwesenden nicht zu gefährden. Daneben gab es im gleichen Jahr einen antisemitisch konnotierten Angriff auf zwei Duisburger Fans, die dabei erheblich verletzt wurden. Zeug:innen zufolge soll dabei der Satz “Ich hau Dir aufs Maul, du Jude” gefallen sein.

Seit Jahren bestehende Probleme

Rot-Weiss Essen wurde jüngst in einem offenen Brief an RWE-Vorstand Marcus Uhlig auf die Präsenz und der davon ausgehenden Problematik und Gefahr rechtsradikaler Akteure im Stadion hingewiesen: “Man muss kein szenekundiger Beamter oder regelmäßiger Kurvengänger sein, um zu identifizieren, welche unappetitliche Melange aus Alt-, Neuhools und Neonazis tonangebend an der Hafenstraße und innerhalb der rot-weissen Fanstrukturen sind”, schrieb ein RWE-Fan aus Angst vor Konsequenzen für ihn anonym.

In einem Reportage-Bericht über “Neonazis bei Traditionsvereinen” sagte Marcus Uhlig, alter und nunmehr neuer Vorstandschef in einem selbst gedrehten Video:

Ich möchte ganz entschieden die Wahrnehmung oder gar den Vorwurf zurückweisen, dass Rot-Weiss Essen auf dem rechten Auge blind sei. Natürlich gibt es hier bei uns eine Gruppe von Fans mit einer, ich sage mal, rechtsoffenen Gesinnung. Dieses Problem gibt es allerdings bei ganz vielen anderen Vereinen auch. Wir möchten in keinster Weise irgendein Problem kleinreden, aber wir müssen schon die Größe und den Kontext auch sehen und ich darf an der Stelle auf unsere Satzung verweisen. Unsere Satzung sagt ganz klar, und daran halten wir uns auch, das leben wir auch aus, dass wir uns gegen jedwede rechten oder verfassungsfeindlichen oder fremdenfeindlichen Gesinnungen stellen.

Dennoch kam es bei der Aufstiegsfeier im Mai zu mindestens einem “Sieg Heil”-Ruf direkt im Stadion. Umstehende Fans intervenierten nicht.

RWE weiß seit Jahren über die problematische Fan-Szene, tut bisher aber zu wenig.

Seit dem Böllerwurf aus dem RWE-Block, bei dem zwei Spieler von Preußen Münster ein Knalltrauma erlitten und das Spiel abgebrochen werden musste, bewegt sich der Verein. Mit Markus Biersa wurde ein hauptamtlicher Fanbeauftragter engagiert, der der Ultra-Szene entstammt und sich insbesondere um die Fan-Kultur kümmern wird, die Kameratechnik wurde erneuert und an den Toren soll künftig Sicherheitspersonal mit “Konfektionsgröße XXL” stehen.

Aktualisierte Satzung, alte Probleme

Der Änderungsantrag zu §2 der Satzung.

Die Änderung der Satzung ist ein weiterer, richtiger und begrüßenswerter Schritt. Die Neufassung in §2 der Satzung liest sich, verabschiedet durch die Jahreshauptversammlung, nun so:

Der Verein verpflichtet sich zu parteipolitischer, religiöser und weltanschaulicher Neutralität. RWE bekennt sich zu den Grundsätzen der Menschenrechte und tritt rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen sowie anderen diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegen. Das gilt insbesondere für Diskriminierungen und Benachteiligungen von Menschen wegen ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht, sexuellen Orientierung oder Behinderung.

Dadurch schärft RWE den Anspruch an sich selbst, räumt sich aber auch zugleich mehr Handlungsspielraum ein, da wohlformulierter ist, was nicht mit den Werten des Traditionsvereins zusammen geht. Denn statt, wie in der ursprünglichen Fassung, Menschenfeindlichkeit zu “verurteilen”, will der Verein dieser fortan “entschieden” entgegentreten. Diese Bekundung dürfte ihm die (pro-)aktive Arbeit gegen Problem-Fans unter Berufung auf die Satzung deutlich vereinfachen.

Dass allerdings eine Satzungsänderung kein alleiniges Heilmittel ist und noch ein langer und beschwerlicher Weg vor dem Verein liegt, auf dessen Beschreitung der Verein sich erst noch zu beweisen hat, belegen Vorfälle in Sozialen Medien, bei denen selbst RWE-Personal in Amt und Würden keinerlei Berührungsängste zur Extremen Rechten aufweist.

Probleme im Trainerstab

Sven Linnemann, ehemaliger Taekwondo-Vize-Weltmeister von 2005, ist seit Juli 2019 Athletik-Trainer bei Rot-Weiss und gehört damit zum Trainerstab. Vergangenen Mai deckt Twitter-User @pte_crouch auf, dass Linnemann auf Instagram ein Foto der “Steeler Jungs” / “Bandidos” / “Alte Garde” / “Guerreros”, wohlwollend kommentiert. Das Foto ist in der Sportsbar “300”, einer stadtbekannten Kneipe, in der sich die rechte Szene wohl und zuhause fühlt, aufgenommen worden. Von einem Versehen kann bei einem derartigen Fußball-Profi kaum ausgegangen werden, zumal der Kommentar Stand, 29.06.2022, 23:11 Uhr, noch immer vorhanden ist.

https://twitter.com/pte_crouch/status/1523990492429660162

Doch dabei bleibt es nicht. Uns wurde ein weiteres Zeugnis mindestens mangelnder Distanz zwischen Linnemann und der rechtsradikalen Szene zugespielt.

RWEs Athletik-Trainer Sven Linnemann inmitten einer Gruppe von “Steeler Jungs”, “Alte Garde”, “Guerreros”.

Zu sehen ist Linnemann inmitten einer Gruppe von “Steeler Jungs”, “Alte Garde”, “Guerreros”, aufgenommen bei dem Schwergewichtskampf von Profiboxer Patrick Korte am 11.06.2022. Mitglieder der Hooligan-Gruppierung “Alte Garde” waren es, die 2013 die Filmvorführung gewaltsam verhinderten. Die Gruppierung ist szenebekannt für ihre Gewalttätigkeit und ihre tiefen Verbindungen zur rechtsradikalen Szene sowie personellen Überschneidungen.

Dass ein Mitglied des Trainerstabs von RWE fröhlich mit Mitgliedern solcher Gruppierungen posiert, dürfte dem Anspruch “rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen sowie anderen diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegen” zu treten nicht gerecht werden und somit der erste Anwendungsfall für die neue Satzung werden. Wer, wie Linnemann, mit Rechtsradikalen posiert, konterkariert mit derlei Aktionen die soeben beschlossene, neue Satzung.

Klare Kante

RWE täte gut daran, das Verhalten ihres Athletik-Trainers zu verurteilen und Kraft der neuen Satzung endlich Konsequenzen für die Problem-Fans spürbar werden zu lassen. Der Verein sollte darüber hinaus

  • die rechtsradikalen Machenschaften Teile seiner Fanszene scharf verurteilen und dabei Ross und Reiter beim Namen nennen. Es handelt sich um spezifische Gruppierungen, die abgrenz- und benennbar sind.
  • vom Hausrecht Gebrauch machen und den Problem-Fans als ersten Schritt untersagen in uniformer Kluft zu erscheinen. T-Shirts, Jacken, Taschen und Kopfbedeckungen mit Emblemen der problematischen Gruppierungen haben in einem Stadion für Alle nichts verloren.
  • zusätzliche Bildungs- und Schulungsangebote über Rechtsradikalismus und Neonazismus für die Spieler, Trainer, Stab sowie das Stadionpersonal anbieten und verpflichtend machen. Ein erstklassiger Ansprechpartner könnte beispielsweise die Landesarbeitsgemeinschaft Fanprojekte NRW sein.
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