Rechtsrock und Verschwörungsmythen – “Steeler Jungs” am Set

Rechtsrock und Verschwörungsmythen – “Steeler Jungs” am Set

Xavier Naidoo, Soulsänger, Ex-DSDS-Juror und Verschwörungsideologe hat gemeinsam mit Musikern aus dem rechtsradikalen Spektrum ein Lied “Deutschland krempelt die Ärmel hoch” veröffentlicht (Blick nach rechts berichtete). An sich kaum eine Meldung wert, da Naidoo sich bereits seit längerem im rechtsradikalen Milieu tummelt und bereits in der Vergangenheit gemeinsame Sache mit dem Rechtsradikalen Hannes Ostendorf, Front-Sänger der Band “Kategorie C”, gemacht hat. Im Video zum jüngst veröffentlichten Track unterstützen jedoch auch Essener Strukturen der “Bandidos” und “Steeler Jungs” den Dreh.

Trivia

In einem hölzern wirkenden Vorspann telefoniert Naidoo mit Ostendorf. Die beiden besprechen für einen Refrainvorschlag vom Soul-Barden “starke Männer” zu suchen, die Ostendorf alsdann zusammentrommelt. “Deutschland krempelt die Ärmel hoch” soll dabei eine Anspielung auf die gleichlautende Kampagne des Bundesministeriums für Gesundheit sein, bei der Prominente zur freiwilligen Impfung aufrufen. In der rechtsradikalen Szene jedoch wird der Spruch um die Worte “Nadelstich oder Todesstoß” zu einem Aufruf gegen das Impfen und für Machismo, Maskulismus, Einschüchterung und Gewalt gemacht.

Die Erzählung zielt auf den Verschwörungsmythos aus dem QAnon-Umfeld ab, die Impfung sei giftig und führe zwangsläufig früher oder später zum Tod. Auch andere Prominente wie Michael Wendler, der ebenso im rechtsradikalen QAnon-Schwurbel-Sumpf abgedriftet und gelandet ist, veröffentlichen diese Verschwörungserzählung.

Die Inszenierung des Videos zielt darauf ab, dass vermeintlich “starke Männer” der letzte Garant gegen eine herbeiphantasierte “Impfdiktatur” seien. So heißt es im Song bspw. “die Injektion soll ein ganzes Volk zersetzen”. Und so ziehen im Video immer wieder Horden muskelbepackter, vermummter vor allem Männer in Zeitlupe durch das Bild: Hooligans, Rocker und Rechtsradikale aus Bremen und Essen, die, so die Verheißung, eine Revolte, einen Umsturz gegen “das System” starten könnten und bei denen sich Gleichgesinnte sicher und geborgen fühlen können.

Der kolportierte Heroismus der sich als “Krieger” wähnenden Personen ist Kernidentifikationselement rechtsradikaler Strukturen. Dazu konstruieren sie eine von außen über sie hineinbrechende, invasorische Kraft, der die sich im Kampf gestählte Spartiaten heldenhaft entgegenstellen.

Baseballschläger, Messer, Sturmhauben, Bilder von Adolf Hitler

Laut Polizeiangaben trafen sich am 05.06.2021 gut 70 Rechtsradikale in Bremen-Walle, zu einem Video-Dreh. Zunächst behauptete die Gruppe ein Video für ein Mode-Label zu machen, ergriff dann aber die Flucht. Knapp 60 Personen konnten gestellt und durchsucht werden. Dabei wurden laut Polizeiangaben unter anderem Baseballschläger, Messer, mit Quarzsand gefüllte Handschuhe, Pyrotechnik und Sturmhauben sowie zwei CDs mit dem Bild von Adolf Hitler festgestellt.

Im Video “Deutschland krempelt die Ärmel hoch” ist zu sehen, wie sich die Gruppe auf einer Brücke in der Cuxhavener Straße postiert, Bengalos zündet und Banner mit der Aufschrift “Kategorie C” hisst. Für Essener*innen kein unbekanntes Bild – auch die “Steeler Jungs” haben während ihrer Aufmärsche immer wieder Brücken als Inszenierungsobjekt genutzt.

Bezug nach Essen

Sebastian Verboket (mit schwarzem T-Shirt in der Mitte) in der Alleestraße in Freisenbruch.

Ab Minute 4:38 tritt der Verschwörungsideologe Sebastian Verboket alias “Der Typ” in der Alleestraße in Freisenbruch auf. Im Zuge des Verbots der “Bandidos” berichteten wir noch vor kurzem über Fehler bei der Durchführung bezüglich dieses Rückzugsorts der Rocker-Strukturen: Er wurde augenscheinlich schlicht und ergreifend übersehen.

Nun wurde die Adresse als Drehort gewählt. Als Komparsen dienen dabei Strukturen der “Bandidos”/”Steeler Jungs”. In dem Video finden sich gleich mehrere bekannte Gesichter, bspw. Christian S., Jörg K., Christian “Bifi” Willing, Meikel S., Carlo F. und Heiko B. Die Statisten stammen vornehmlich aus dem Spektrum der aufgelösten Vereinigung “Bandidos Essen East”, gehören aber in Teilen in Personalunion auch den rechtsradikalen “Steeler Jungs” an.

Dass ausgerechnet Essener Strukturen in dem wahrscheinlich am 19. Juni gedrehten Video mitwirken, ist zum einen durch eine starke Verbindung zwischen Essen und Bremen zu erklären. Fußball-Hooligans beider Städte verbindet eine enge Freundschaft, bei der man sich schätzt, unterstützt, vertraut und gegenseitig, wie zuletzt im August, besucht (mehr Hintergrund: Rechtsradikales Fußballturnier in Essen). Schon 2019 ist “Kategorie C”, deren Frontsänger Ostendorf war, in der “Sportsbar 300” in Essen-Steele mit einem “Balladenabend” aufgetreten. Ostendorf und Christian “Bifi” Willing, der Chef des Chapters “Essen East” der “Bandidos” bis zu deren Auflösung war, kennen einander. Deutlich wird das auch im Video, in dem sich die beiden “ranghöchsten” freundschaftlich begrüßen und umarmen.

In Szene gesetzter Nationalismus

Die Bildsprache des Videos transportiert geschickt nationalistische und radikale Narrative. Neben der expliziten Wahl rechtsradikaler Protagonisten und deren martialischem Auftreten lohnt eine Dechiffrierung, um den transportierten Nationalismus besser zu verstehen.

In Minute 3:12 wird Ostendorf mit mehreren Vermummten auf zwei Pick-Ups mit Verdener und Diepholzener Kennzeichen in Szene gesetzt. Was zunächst wie beliebig wirkt, knüpft nahtlos an das Gesamtnarrativ des Liedes an, wenn man diese Szene mit der Selbstinszenierung der sogenannten “Proud Boys” vergleicht. Die “Proud Boys” sind eine rechtsradikale Terrorgruppe aus den USA, die mit paramilitärischen Aktionen Widerstand gegen staatliche Institutionen leistet und 2021 am Sturm auf das Kapitol beteiligt war. Ihre Mitglieder bereiten sich für einen faschistischen Sturz der Regierung vor und stehen auf Abruf bereit.

Das Video bedient sich ganz bewusst durch Einsatz von Pick Ups und Vermummten der Ästhetik der “Proud Boys”, die sich als “schnelle Eingreiftruppe” verstehen.

Auch bei den “Bandidos”/”Steeler Jungs” in Essen findet sich eine Reminiszenz auf die US-amerikanische faschistische sogenannte “Alt-Right”-Bewegung. Im Hintergrund weht eine Konföderierten Flagge (Confederate Flag), die als rassistisches Symbol gilt.

Gut sichtbar die im Hintergrund wehende Konföderierten Flagge.

Zudem wird mehrmals im Lied ausdrucksstark “Deutschland!” gerufen. In jeder dieser Szenen ist ausgerechnet die Melange aus “Bandidos” und “Steeler Jungs” in Essen, teils mit synchron hochgerissenen Fäusten zu sehen. Dieser keineswegs zufällig zur Schau gestellte Hypernationalismus drückt in Kombination mit den Anspielungen auf die Ästhetik faschistischer Organisationen sowohl Identifikationspunkt, als auch Anspruchshaltung aus: Hier werden besagte Recken inszeniert, die vorgeblich Deutschlands letzte Hoffnung seien.

“Deutschland!”

Verschwörungserzählung trifft Hooligans trifft Rocker-Kriminalität

Die Aberkennung des Vereinsstatus hat die “Bandidos” schwer getroffen. Um so wichtiger ist es für sie mediale Präsenz zu zeigen. Da kommt solch ein Musikvideo – zumal mit zwei schwergewichtigen Szene-Promis – natürlich gerade recht. Die Einladung erfolgte aber nicht im luftleeren Raum, sondern wird von Anfang an darauf ausgelegt gewesen sein, Solidarität mit den “Bandidos” auszurücken: Im Refrain heißt es “[…] ihre Waffen sind Gesetz und Verbot […]”, was als klare Anspielung auf das “Bandido”-Verbot verstanden werden muss.

Naidoo und Ostendorf suchen nicht nur den Schulterschluss zwischen Verschwörungsideologie und Hooliganismus, sondern auch der organisierten Rocker-Kriminalität. Ein Lehrstück in der Vernetzung der rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Szene.

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