Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2023

Wie schnell doch so ein Jahr vergehen kann – kaum versieht man sich, schon ist auch wieder Zeit für einen antifaschistischen Jahresrückblick. 2023 hat vielerlei für uns bereitgehalten, das wir im Folgenden aufbereiten möchten:

Antisemitismus

Antisemitismus ist in den vergangenen Jahren immer Thema in Essen gewesen und ist es bedauerlicherweise auch in diesem Jahr. Schon vor den Eindrücken des bestialischen Massakers der Hamas am 07. Oktober gab es antisemitische Ausfälle.

Bildmontage

Gleich zu Beginn des noch jungen Jahres entdecken wir eine antisemitische Bildmontage bei einem Sympathisanten der “Steeler Jungs”, Arnd M.. Zu sehen sind zwei ausgelassen tanzende orthodoxe Juden. Im oberen Teil wurde ein weißer Schriftzug auf schwarzem Untergrund montiert: “Wenn der Gaspreis so weit steigt, dass weniger Öfen geheizt werden können”.

Drohung

Wie in fast allen Essener Corona-Telegram-Gruppen auch, wurde in “auf die Strasse ESSEN” immer wieder antisemitisches Gedankengut geteilt, antisemitische Narrative bedient und antisemitische Stereotype verwendet, ohne, dass es dabei zu Widerspruch der Gruppenmitglieder kam. Im September rufen zwei Mitglieder der Gruppe in antisemitischer Manier dazu auf, der Chabad Gemeinde in Essen einen Besuch abzustatten: “vielleicht wollen da ein paar aufgeschlossen ESSENER mal hin spazieren” (Rechtschreibung wie im Original).

Rechtsradikalismus

Die extreme Rechte hat ihre Strukturen in den vergangenen Monaten und Jahren weiter verfestigt und gestärkt. So tritt sie in verschiedenen Erscheinungsformen auf Essener Stadtgebiet in Erscheinung.

“Steeler Jungs”: Karneval

In diesem Jahr waren die “Steeler Jungs” abermals als “Steeler Jecken” unterwegs. Statt des großen motorisierten Wagens, wie noch 2019, musste dieses Jahr ein deutlich kleinerer, zweiachsiger Bollerwagen mit Aufbau, Sonnenschirm und Lautsprecheranlage genügen. Inhaltlich stand der Wagen dem Vorgängermodell aber in nichts nach. Neben dem altbekannten Motiv der zerdrückten Zecke war auch wieder der Spruch “Schützt Euch vor den Zecken !!!” zu finden.

AfD im Umfragehoch

Dass die AfD-Jugend als gesichert rechtsextrem gilt, ist für das bürgerliche Klientel aufregender Nervenkitzel, aber nicht weiter tragisch. Demokratiefeindliche Coronaleugner*innen, Putinverehrer*innen und Verschwörungsmythiker*innen wählen, wenn überhaupt, die AfD, weil diese sich die Demokratie zunutze macht, um sie anschließend abzuschaffen. Im Juni geht die AfD erstmalig in den Umfragen auf 18% und läutet damit ihr bis heute andauerndes Umfragehoch ein.

Rüttenscheider Türsteher in rechtsradikalem Kampfsportclub

Das 19down in Essen-Rüttenscheid ist vielen Menschen als Lokal bekannt, in dem ausgelassen getrunken, getanzt, gefeiert werden kann. Weniger bekannt bis Oktober dieses Jahres war, dass einer der Türsteher nicht nur mit eindeutig extrem rechten Tattoos posiert; die Person trainiert auch zusammen mit den “Guerreros”, der Kampfsportabteilung der extrem rechten und vom ansonsten auf dem rechten Auge blinden Verfassungsschutz beobachteten “Steeler Jungs”.

Leider haben wir bis heute noch kein wirkliches Statement vom 19down erhalten. Der Türsteher, René K. hat lediglich seinen Social Media Account gelöscht, wird nach unseren Informationen aber weiterhin an der Tür des 19down gesehen.

Verbot der “Artgemeinschaft”

Im September wurde die “Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung” von Bundesinnenministerin Nancy Faeser verboten. Auch in Essen wurden Räumlichkeiten im Zuge der Razzien durchsucht. In Bredeney war das Ziel der Durchsuchungen die Praxis von Gerhard H., der bestens in der extremen Rechten vernetzt ist. Auch seine Söhne sind in der rechten Szene aktiv.

Rassistische Kampagne und Nazi-Sekte

Während unserer Beobachtung der AfD fiel uns eine rassistische Kampagne ins Auge. Die inzwischen zur AfD konvertierte Eileen Kroetsch (ehemals Sozialliberales Bündnis Essen) verdingt sich seit einiger Zeit nebenberuflich als Social Media-Produzentin. Ihre Kampagnen richten sich zumeist gegen vermeintliche Ausländer*innen und gegen LSBTIQ*. Am 28. September 2023 veröffentlichte sie auf ihrem Facebook-Profil eine Serie von 33 gleichartig aufgebauten Share-Pics mit verschiedenen Frauen von oder aus dem Umfeld der AfD, bei der eine eine direkte Verbindung zur verbotenen “Artgemeinschaft” aufweist.

Guido Reil trifft rechtsradikale Politikerin

Kämpfer aus rechtsradikalem Kampfsportclub auf Fight-Cards

Der zunächst in Gelsenkirchen von “Steeler Jungs” gegründete, dann nach Oberhausen und zuletzt nach Essen ausgewichene Kampfsportclub “Guerreros” hat zwei seiner Kämpfer im November zur “Fight Gala” nach Oberhausen schicken wollen. Timmy Roger W. und Edis O. sind beides Mitglieder der “Guerreros” und waren auf den entsprechenden Fight-Cards zu sehen. W. konnte aufgrund einer Krankheit nicht antreten. O. hingegen trat auf.

Die rechte Szene in Essen

Die nicht-parteigebundene rechte Szene in Essen ist äußerst divers. Sie erstreckt sich von Rocker-Gruppierungen, über Kampfsport, den Fußball, in die Musik bis in die Szene der Delegitimierer*innen. Im September konnten wir in der Volkshochschule einen Vortrag über genau diese Strukturen, ihre Zusammenhänge und Protagonisten vorstellen.

Medien

Medien formen unser Bild der Realität: Die Art der Berichterstattung hat einen Einfluss darauf, welche Meinung wir uns zu bestimmten Sachverhalten bilden, welche Sprache wir verwenden und welche Partei wir wählen.

Die Funke Mediengruppe hat dabei offenbar eine sehr genaue Vorstellung, wie die Realität im Ruhrgebiet aussieht.

Islamismus

Unter dem Deckmantel vermeintlicher Solidarität mit Palästina mobilisierte im November die islamistische Szene zu einer Demonstration nach Essen. Die Mobilisierung zur Versammlung ging maßgeblich von überregionalen islamistischen Strukturen in sozialen Medien aus, vornehmlich in TikTok und Instagram. Das Thema Gazas diente allerdings nur als Aufhänger und Hebel für eine breitenwirksame Werbung. Auf der Versammlung selbst geriet Gaza in den Hintergrund; es gab kaum eine substantielle Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex und bis auf verschwindend geringe Sprechchöre, die Gaza als Schlagwort beinhalteten, hatte die tatsächliche Versammlung nichts mehr mit ihrem behaupteten Ansinnen gemein. Es ging dem Veranstalter einzig und allein um die Ausschlachtung der Situation für islamistische Propaganda.

Schändung von Stolpersteinen

Mit Entsetzen haben wir die Mitteilung von unseren Freund*innen von Mut machen – Steele bleibt bunt im November gesehen, dass die neu verlegten Stolpersteine nur wenige Tage nach ihrer Verlegung geschändet wurden. Wir sind bestürzt und empört über diesen widerwärtigen Akt menschenverachtenden antisemitischen Hasses, über die Schändung des Mahnmals. Wir sehen die abscheuliche Tat jedoch nicht als Einzelfall, sondern reihen sie ein in die Reihe antisemitischer Gewalttaten in Deutschland.

Gedenken

Erinnern heißt kämpfen!

„Wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen“ – (George Santayana)

09. November

In unserem diesjährigen Redebeitrag zum 09. November haben wir die ausbleibende Solidarität mit von Antisemitismus Betroffenen nach dem Massaker vom 07. Oktober thematisiert. Jüdinnen*Juden sind seit dem unmenschlich-bestialischen Überfall der Hamas offenem Hass und Diffamierungen ausgesetzt, es werden Davidsterne als Markierung an Häuserfronten gemalt und eine Vielzahl von Personen jüdischen Glaubens erwägen ernsthaft, dieses Land zu verlassen.

Die Lehre aus den Geschehnissen im November 1938 bedeuten daher für uns gerade jetzt – genau jetzt – heute und uneingeschränkt unsere Solidarität mit Jüdinnen und Juden zum Ausdruck zu bringen. „Nie wieder“ ist jetzt. Nicht nur an besonderen Tagen des Gedenkens, sondern jeden einzelnen Tag des Jahres.

Gedenken an Bernd Brack

Bernd Brack ist am 11.12.2023 mit 87 Jahren gestorben. Bevor er sich in seinem hohen Alter aus der Arbeit zurückziehen musste, hat er über Jahrzehnte die politische Kultur und Tätigkeit in Essen geprägt. Als Essener Urgestein der Flüchtlingshilfe und aktiver Mitstreiter gegen Rechtsextremismus wird uns Bernd in Erinnerung bleiben.

Sport

Verschiedene Personen, Vereine und Organisationen erklären sich in der “Essener Erklärung” für Demokratie und Vielfalt sowie gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus im Sport. Essen stellt sich quer gehört zu den Erstunterzeichnenden der Erklärung.

In eigener Sache

In unserer täglichen Arbeit erleben wir Vieles, das zum Abgewöhnen ist. Antisemitismus, Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Neonazismus. Umso wichtiger ist es für uns, auch auf das Positive zu schauen.

Feierliches

Essen stellt sich quer hat sich im Jahr 2000 gegründet. Dieses Jahr haben wir – mit leichter Verspätung – unser 20-jähriges Jubiläum mit einem Sommerfest gefeiert und mit vielen Freund*innen, Unterstützer*innen und Weggefährt*innen unser jahrzehntelanges Bestehen gefeiert. Vielen Dank allen, die das Fest zu so einem Erfolg gemacht haben!

Zuwachs im Bündnis

Kurz vor Ende des Jahres 2023, seit Montag, dem 18.12.2023, können wir stolz vermelden, dass sich uns zwei neue Bündnisorganisationen angeschlossen haben. Die NaturFreunde Essen-West/Ost sowie die Naturfreundejugend Essen wurden beide vom tagenden Plenum herzlich als neueste Bündnismitglieder aufgenommen. Damit wächst unser Bündnis auf die hier dargestellten Organisationen. Ein für uns eindrücklicher Beweis dafür, dass wir in den vergangenen 23 Jahren einige Dinge richtig gemacht haben und Vertrauen in uns und unsere Arbeit gegen Rassismus und Faschismus besteht. Vielen Dank allen Weggefährt*innen!

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