Jahresrückblick 2019

Jahresrückblick 2019

Das Jahr 2019 endet in ein paar Tagen. Zeit, sich einmal vor Augen zu halten, was 2019 in Essen passiert ist: Zeit für den antifaschistischen Jahresrückblick von Essen stellt sich quer.

Amok-Fahrt in Bottrop und Essen

Das neue Jahr war erst wenige Stunden alt, als ein 50-jähriger Essener sein Auto als Waffe gegen Menschen eingesetzt hat. Die Amok-Fahrt startete in Bottrop und endete in Essen. Aus einem paranoid-schizophrenen Wahn heraus wollte der Mann als migrantisch gelesene Menschen töten und verletzte dabei 14 Menschen. Eine Frau dabei so sehr, dass sie zeitweise in Lebensgefahr schwebte.

Der Mann wurde inzwischen auf unbestimmte Zeit in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Die Behörden sagen, es läge kein rechtsradikaler Hintergrund vor. Wer jedoch mit Absicht sein Auto in eine Menschenmenge mit dem Ziel sie zu töten manövriert, weil sie mutmaßlich keine Deutschen sind, handelt aus einem fremdenfeindlichen, rechtsradikalen Motiv. Selbst wenn diese Person unter einer Erkrankung leidet.

Essen stellt sich quer wächst!

Im Februar können wir in eigener Sache eine sehr erfreuliche Nachricht verkünden: Aufstehen gegen Rassismus Essen (AgR) wird als Arbeitsgruppe innerhalb von Essen stellt sich quer gegründet. Eine Arbeitsgruppe, die den Schwerpunkt auf aktionsorientierte Veranstaltungen und insbesondere den Kampf gegen die AfD legt. AgR hat sich dann kürzlich als eigenständige Gruppe ausgegründet und wird fortan eigenständig agieren. Gleichzeitig sind sie direkt offizieller Bündnispartner von Essen stellt sich quer geworden.

Erfreulicherweise sind noch fünf weitere Gruppen offizielles Bündnismitglied geworden. Im Jahr 2019 sind der Jugendverband Rebell Essen, die Arbeiterwohlfahrt Essen, das Jugendwerk der AWO Essen, das Zentrum für Kunst und Soziales ALIBI und die ver.di-Jugend Ruhr-West dem Bündnis beigetreten. Insgesamt 26 Organisationen sind nun Bündnismitglied.

Steele

Der beschauliche Stadtteil Essen-Steele wurde 2019 ganz besonders von uns betrachtet. Die selbsternannten „Steeler Jungs“, eine bürgerwehrähnliche Gruppierung, marschiert seit inzwischen knapp zwei Jahren durch die City. Wir haben bereits früh vor der Gefahr, die durch die „Steeler Jungs“ ausgeht, gewarnt und deutlich gemacht, dass ein Festigen der lokalen Strukturen verhindert werden muss.

Bei den „Steeler Jungs“ (SJ) handelt es sich um Personen, die maßgeblich aus der rechten Hooligan-Szene von Rot-Weiß-Essen stammen. Dazu gesellen sich Rocker und Türsteher. Die SJ treten auf ihren wöchentlich am Donnerstag stattfindenden Versammlungen bewusst unpolitisch auf, tragen keine Transparente, keine Schilder und rufen keine Parolen. Sie möchten dadurch anschlussfähig für Menschen sein, die zwar mit klassischen Rechtsradikalen nichts zu tun haben wollen, für die Ideologie und Propaganda jedoch empfänglich sind. Um die rechtsradikale Kerntruppe der SJ hat sich daher eine Reihe von Menschen gescharrt, die kein per se geschlossenes rechtsradikales Weltbild hat, gleichzeitig aber auch kein Problem, gemeinsam mit Rechten und Rechtsradikalen zu demonstrieren. Diese Szene wird als rechte Misch-Szene bezeichnet.

Die SJ sind bestens vernetzt, insbesondere zur rechtsradikalen „Bruderschaft Deutschland“ aus Düsseldorf, zu den „besorgten Bürgern“ aus Herne, unterhalten beste Verbindungen zum rechtsradikalen Ratsherrn Dominik Horst Roeseler, Gründer der „Hooligans gegen Salafisten“, aus Mönchengladbach, und strecken ihre Fühler auch zusehends in die anderen Essener Stadtteile aus.

Das äußerlich sehr freundschaftlich wirkende Verhältnis der SJ zur örtlichen Polizei fiel bereits im Jahr 2018 auf. 2019 kommt es dann zu einer Versetzung eines Polizisten, der gemeinsam mit den SJ an einem Gruppenfoto für Propagandazwecke teilgenommen hat. Offenbar hat der Beamte nicht die gebotene Distanz zur Gruppierung wahren können.

Freisenbrucher Karneval

Im März veröffentlichen wir, dass die SJ am Freisenbrucher Karneval teilgenommen haben. Getarnt als „Steeler Jecken“ fahren sie auf einem eigenen Wagen Süßigkeiten werfend durch die Stadt. Der Wagen ist stringent in den Farben schwarz-weiß-rot gehalten, die Beschriftung in Fraktur. Die SJ tragen passend dazu Helme, die frappant an die von Wehrmachtssoldaten aus dem zweiten Weltkrieg erinnern. Geschmückt wurde der Wagen mit einem Bild, auf dem ein Daumen eine Zecke zerdrückt: „Schützt euch vor den Zecken“. Das Bild der Zecke ist in rechten und rechtsradikalen Kreisen ein Code für Linke und Andersdenkende. Durch die Grafik bringen die SJ ihre Verachtung und die Entmenschlichung des politischen Gegners zum Ausdruck.

Hitlergruß

Am Internationalen Tag gegen Rassismus entgleist eine Teilnehmerin der SJ auf deren Versammlung und zeigt mehrfach den Hitlergruß in Richtung der Gegendemonstrant*innen. Frau B. wurde inzwischen wegen des Zeigens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Frau B. ist in Berufung gegangen, obwohl sich bereits bei der ersten Verhandlung die von ihr genannten Zeug*innen derart in Unschärfen und Widersprüche verstrickt haben, dass der Richter riet, sich als Zeug*in nicht womöglich selber aufgrund von Falschaussagen strafbar zu machen.

Verfolgung bis in private Wohnungen

Im April wird klar, dass die SJ nicht einmal vor den Privatwohnungen der politischen Gegner*innen Halt machen. Ein führender Kopf der SJ wird beobachtet, wie er aus seinem Fahrzeug heraus Fotos in die Wohnung eines Aktivisten von Mut machen – Steele bleibt bunt schießt.

Der Haus- und Hoffotograf der SJ, Herr P., der ansonsten einen eigenen Fotoladen in Steele betreibt, wird zudem dabei erwischt, wie er in einem Gebüsch versteckt Fotos von Aktivist*innen von Mut machen – Steele bleibt bunt! fotografiert.

Entmenschlichung des politischen Gegners

Neben der Entmenschlichung auf dem Freisenbrucher Karneval fallen die SJ damit auch in den sozialen Medien auf. Personen von Essen stellt sich quer und Mut machen – Steele bleibt bunt! werden als „Viren“, „Parasiten“ oder „geisteskrank“ bezeichnet. Auf einer ihrer Versammlungen legen die SJ Mundschutz-Masken als Ausdruck ihres Ekels vor den gegen sie demonstrierenden Demokrat*innen, an.

Durch die Entmenschlichung soll szeneintern die Stärkung nach innen erhöht werden. Äußere Einflüsse sollen damit gleichzeitig von der Misch-Szene ferngehalten werden.

Recherchebroschüre: „Steeler Jungs – alles andere als harmlos“

Im April veröffentlicht Essen stellt sich quer eine erste Recherchebroschüre zu den SJ. In der Handreichung finden sich Informationen zu deren Protagonist*innen, ihren Zielen, Verbindungen in die extrem rechte Szene und eine Liste rechter Überfälle und rechter Ausfälle, ausgehend von den SJ. Das Ziel ist, durch kontinuierliche Aufklärungsarbeit den wahren Kern der sich nach außen unpolitisch gebenden Gruppe zu zeigen.

Rechtes Fußballturnier

Die „Brigade Essen“, eine rechte Hooligan-Gruppe aus der Fan-Szene von Rot-Weiß-Essen plante im Juni ein rechtes Fußballturnier. Recherchen von Essen stellt sich quer ergaben, dass sich hinter der seit 2013 stattfindenden Veranstaltung ein extrem rechtes Netzwerk von Fußball-Gruppen verbirgt. Es kommt ans Tageslicht, dass die Verbindungen bis zu neonazistischen Gruppen aus Bremen reichen. Mit von der Partie war bislang auch die „Alte Garde Essen“, ebenfalls eine rechte Hooligan-Gruppe, deren führender Kopf ebenso Anführer der „Steeler Jungs“ ist.

Nach dem Hinweis unseres Bündnisses reagiert die Verwaltung der Stadt Essen prompt und zitiert den Verantwortlichen des Turniers zu sich. Die Anmeldung fand unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen statt; ein derartiges Fußballturnier wäre ansonsten nicht genehmigt worden. Durch den entstandenen Druck und der erdrückenden Beweislast eines rechtsradikalen Fußball-Happenings, sagt der Anmelder die Veranstaltung ab.

Resolution gegen „Steeler Jungs“

Im Mai verabschiedet der Rat der Stadt Essen mit großer Mehrheit eine Resolution gegen die wöchentlichen Versammlungen der „Steeler Jungs“. Die Ratspolitiker*innen richten sich gegen jeden Versuch der Verharmlosung oder Bagatellisierung des Auftretens der SJ und fordern eine intensive Beobachtung, sowie akribische Aufklärungsarbeit über die Gruppe.

Die Entscheidung fand unter den Augen einiger SJ statt, die sich dazu extra in die Ratssitzung gesetzt hatten, um von der Zuschauertribüne einschüchternd zu wirken.

Rassistische Instrumentalisierung

Bundesweites Aufsehen erhält eine Tat, bei der ein Mann eine Frau und ihr Kind in Frankfurt vor einen Zug stößt. Der Junge stirbt bei der Tat. Die SJ instrumentalisieren den Tod des Kindes in rassistischer Manier für ihre Zwecke: Sie veranstalten eine Mahnwache, vorgeblich für den toten Jungen. Tatsächlich wollen sie aber gegen Migrant*innen hetzen und Fremdenhass schüren, weil der mutmaßliche aus der Schweiz kommende Täter senegalesische Wurzeln hat. Eine zur gleichen Zeit in Essen stattgefundene Tat, bei der ebenfalls ein Junge starb, kommentieren die SJ nicht: Bei dem Täter handelte es sich um einen Deutschen.

„Steeler Jungs“ ziehen rechtsradikale Szene an

Den Schulterschluss mit der rechtsradikalen Szene schließen die SJ spätestens am 01. August, als sie gemeinsam mit dem rechtsradikalen Ratsherrn Dominik Horst Roeseler, Granden der rechtsradikalen Partei „Die Rechte“, wie Sascha Krolzig, Siegfried Borchardt, Michael Brück, Alexander Deptolla und Henry Schwindt, sowie Kadern der NPD, wie dem Landesvorsitzenden Claus Cremer, marschieren.

Spätestens seit diesem Termin muss klar sein, dass die „Steeler Jungs“ gemeinsame Sache mit Neonazis machen.

Versuchtes Eindringen in Düsseldorfer Schwimmbad

Gleichzeitig stellen sich die „Steeler Jungs“ immer noch als Hüter von Recht und Ordnung dar. Gemeinsam mit ihren Kameraden der „Bruderschaft Deutschland“ versuchen sie im August in das Rheinbad zu gelangen, das wenige Tage zuvor aufgrund eines Zwischenfalls geräumt wurde. Sie werden abgewiesen, pöbeln herum und werden anschließend erkennungsdienstlich von der Polizei behandelt. Einen Tag später verteilen Kameraden der neonazistischen Partei „Der dritte Weg“ Flyer im Umfeld des Rheinbads.

Gewalt gegenüber Jugendlichen: Auch vor Frauen keinen Halt

Dass die SJ gewaltbereit sind, ist bereits seit langem offenbar. Ebenfalls im August erreicht uns dann die Nachricht, dass die SJ zwei Jugendliche in ihre Stammkneipe, die „Sportsbar 300“, gelockt haben. Dort wurden die Jugendlichen derart drangsaliert, dass sie nach einer kurzen Zeit wieder das Lokal verlassen haben. Ein paar SJ sind den Jugendlichen gefolgt, haben sie angepöbelt und wurden dabei immer aggressiver. Die Jugendlichen wollten der Situation entrinnen, wurden beim Fliehen aber von drei gestandenen Männern der SJ umzingelt, abermals beleidigt und bedroht. Ein „Steeler Jung“ sagte zu einer der Betroffenen, als er eine illegale „Taschenkontrolle“ bei ihr durchführen wollte: „Wir machen auch vor Frauen keinen Halt!“. Daraufhin schlug ein SJ den anderen Jugendlichen mit der Faust ins Gesicht. Nur durch Zufall wurde die Situation beendet, weil ein Streifenwagen der Polizei vorbeifuhr.

Ausbreitung in andere Stadtteile

Neben Essen-Steele gab es 2019 auch im Südostviertel und in Altenessen Aufmärsche der Szene. Im Südostviertel demonstrierten die „Huttroper Jungs“, in Altenessen passend die „Altenessener Jungs“. Die Aufmachung und Aktionsform erinnert stark an die der SJ: Alle „Jungs“-Gruppen tragen einheitlich designte Kleidung, rufen keine Parolen, tragen keine Transparente, geben sich unpolitisch. Recherchen konnten nachweisen, dass die Aufmärsche im Südostviertel und Altenessen unter starker Beteiligung und Unterstützung durch die „Steeler Jungs“ stattgefunden haben.

Ausbreitung in andere Städte

An der Stadtgrenze endet das Aktionsfeld der SJ jedoch nicht. 2019 nahmen die „Steeler Jungs“ an einem rechtsradikalen Aufmarsch in Mönchengladbach teil. Die „Altenessener Jungs“ riefen sogar zunächst als offizieller Organisator zu einer rechtsradikalen Versammlung nach Duisburg auf. Auch in Herne sieht man die Essener Szene bei den Märschen der dortigen „besorgten Bürger“ regelmäßig.

Rechtsradikale Konzerte in der „Sportsbar 300“

Nach einem Konzert der rechtsextremen Hooligan-Band „Kategorie C“ Ende Juni scheute man sich nicht weitere „Größen“ der rechtsextremen Musikszene einzuladen. Im November konnte Essen stellt sich quer durch Recherchearbeit nachweisen, dass der Neonazi Michael Regener, ehemals Sänger der inzwischen als kriminelle Vereinigung verbotenen Band „Landser“ und heute Sänger der Band „Die Lunikoff-Verschwörung“, in der „Sportsbar 300“, dem Treffpunkt der „Steeler Jungs“, aufgetreten ist. Mit dabei waren auch Personen der Huttroper und Altenessener Strukturen.

Todesdrohung gegen Grüne und Linke

Im Dezember wurden uns Bilder aus Steele zugespielt, auf denen der Schriftzug „Linke und Grüne töten“ zu lesen ist. Gleich daneben der Schriftzug „Steeler Jungs“, sowie „AfD“, der in der gleichen Handschrift geschrieben wurde.

2019 sind vermehrt rechtsradikale Insignien in Steele aufgetaucht. Bemerkenswert oft tauchen Hakenkreuze im Einzugsgebiet der „Steeler Jungs“ entlang ihrer Demonstrationsrouten auf.

Was noch so war

Steele ist, das zeigen die bereits genannten Punkte deutlich, derzeit ein Hotspot rechter Propaganda und Aktionen. In den Medien wird immer wieder das Bild von einem sich aufschaukelndem Protest bemüht. Dieses Bild weisen wir jedoch zurück. Es ist die Pflicht von Demokrat*innen, sich gegen Rechte und Nazis zu stellen. Das Hinweisen auf rechte Umtriebe und Gewalt ist kein Aufschaukeln, sondern notwendige Arbeit in einer lebendigen Demokratie.

Leider wurden uns 2019 bei unserem legitimen Protest auch immer wieder Steine durch die Polizei in den Weg gelegt. Ob beim Verteilen von Flyern, das unterbunden werden sollte, bei der Anmeldung von Versammlungen, die wie geplant nicht haben stattfinden sollen, oder bei den Versammlungen an sich, bei denen die Polizei den Gegenprotest mit behelmten Beamt*innen hinter Gitterabsperrungen bugsiert hat, während die „Steeler Jungs“ von Streifenbeamt*innen lose begleitet wurden. All das zeichnet natürlich ein Bild, dass der Gegenprotest falsch oder gefährlich ist. Beides könnte verkehrter nicht sein.

Die Parole „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot“, ausgerufen von der „Bruderschaft Deutschland“ in Berlin, machte Schlagzeilen, steht jedoch sinnbildlich für die Verrohung der rechten Misch-Szene. Inzwischen fürchtet auch die Bundesregierung ein von den selbsternannten „Bürgerwehren“ ausgehendes Terrorpotential.

Der Pott bleibt unteilbar

Am 14. September fand unsere Veranstaltung „Der Pott bleibt unteilbar!“ gemeinsam mit Mut machen – Steele bleibt bunt! und Aufstehen gegen Rassismus in Essen-Steele statt. Gemeinsam mit zahlreichen Organisationen, Initiativen, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen haben wir ein Zeichen gegen Rassismus und rechte Bürgerwehren gesetzt. Die Teilnehmerzahl übertraf mit 2.500 Personen unsere Schätzung bei Weitem.

Die Aktion war nicht nur sehr schön, sondern auch sehr wichtig: Insbesondere für die Menschen, die täglich in Steele den selbsternannten „Steeler Jungs“ über den Weg laufen müssen, angefeindet und bedroht werden, war dieser Tag ein solidarisches Zeichen dafür, nicht alleine zu sein.

Als Bündnis Essen stellt sich quer möchten wir uns an dieser Stelle nochmals für die tolle Unterstützung und Beteiligung bedanken!

Die AfD

Recherchen von Correctiv, WDR, NDR und SZ offenbarten im März 2019, dass der aus Essen stammende AfD-Politiker Guido Reil zu Unrecht finanzielle Unterstützung über dubiose Quellen aus der Schweiz erhalten hat. Der sich gerne als Saubermann darstellende Politiker hatte von der schweizerischen Goal AG Plakatspenden erhalten, weswegen nun Strafen in Höhe von 133.500 fällig geworden sind.

Reil kandidierte mit dem eigenwilligen Slogan „Ich bin doof“ für das Europaparlament und warb mit Osterhasen von Ferrero in AfD-Optik. Ferrero distanzierte sich umgehend von der politischen Instrumentalisierung und behielt sich rechtliche Schritte gegen Reil vor.

Im Mai lud die AfD zu einer „Tanz in den Mai“-Veranstaltung in Essen. Ein spontan einberufener Gegenprotest durfte weder in Sicht- noch Hörweite stattfinden. Die Polizei bekam sogar Listen mit geladenen Gästen, machte eine Einlasskontrolle und ließ nur Personen, die auf der Liste standen, durch. Dass die Polizei freiwillig den Einlass bei einer Privatveranstaltung regelt, ist klar zu verurteilen, weil es nicht zu ihrer Aufgabe gehört.

Reil wurde aufgrund seiner aussichtsreichen Listenaufstellung im Mai tatsächlich in das Europaparlament gewählt.

Der MdB Stefan Keuter soll auf einen frei werdenden Platz im Essener Stadtrat nachrücken. Keuter fiel 2019 mehrfach durch Bezüge zum Rechtsradikalismus auf, indem er Hitlerbildchen teilte, oder die Euthanasie verharmlost haben soll.

Wahlen in Sachsen

Der klare Sieg der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen war abzusehen. Die Höhe der Wahlergebnisse besorgen jedoch immens. Es sollte jedoch nicht der Fehler begangen werden, Ostdeutschland per se ein Problem mit Rechten oder Rechtsradikalen zu attestieren. Auch in NRW festigt sich die Szene, gewinnt an Land und stärkt ihre Strukturen konstant. Wie auch in Sachsen ist eine kontinuierliche Arbeit gegen Rechts in NRW und Essen von immenser Wichtigkeit.

Kameradschaftsszene

Nach dem Mord an Walter Lübke wurden durch antifaschistische Recherchen schnell Verbindungen des mutmaßlichen Täters zur Gruppe „Combat 18“ deutlich. „Combat 18“, übersetzt „Kampftruppe Adolf Hitler“ ist der militante Arm des Neonazi-Netzwerks „Blood and Honor“.

„Combat 18“ galt lange Zeit als aufgelöst. 2019 tritt jedoch Robin Schmiemann vermummt vor die Kamera und verliest als Sprecher der Organisation, dass sie nichts mit dem Mord an Walter Lübke zu tun habe. Der in Dortmund wohnende Schmiemann arbeitet bei einem Essener Unternehmen, das unter anderem Dachdeckerei, Badsanierungen und Trockenbau anbietet. Das Unternehmen beschäftigt neben Schmiemann weitere Kader der Dortmunder Neonazi-Szene.

Identitäre Bewegung

Die Identitäre Bewegung (IB) fiel im Jahr 2019 durch einige kleinere Aktionen in Essen auf. Der Essener Marius König leitet die hiesige Sektion der IB. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Melanie Schmitz und dem aus Wesel stammenden Kai Alexander Naggert gründet König einige Tarn-Gruppen, wie „Defend Ruhrpott“ oder das selbst als „Comedy-Format“ beschriebene „Ruhrpott-Roulette“.

Seitdem selbst der Verfassungsschutz die IB als rechtsextreme Organisation beurteilt, ist es ruhiger um die IB geworden. Auch der geistige Vordenker, Götz Kubischek, bezeichnet die IB inzwischen als „bis zur Unberührbarkeit kontaminiert“.

Kai Alexander Naggert bekommt 2019 Besuch von der Polizei, die eine Hausdurchsuchung wegen einer Aktion mit gefaketen Giftmüll-Fässern auf dem Campus der Universität Essen 2018 bei ihm durchführt.

Inzwischen tritt Naggert als Rapper „Prototyp“, oftmals gemeinsam mit dem rechten Rapper Chris Ares, auf.

Weitere Gruppen der rechten Misch-Szene

Als aktivste und über die Stadtgrenzen Essens herausgehend agierende Gruppe hat sich „NRW stellt sich quer“ hervorgetan. Ihr führender Kopf, Stefanie Charlotte van L. aus Köln, ist Bindeglied zwischen den verschiedenen nordrheinwestfälischen Szenen. Sie tanzt auf so ziemlich jeder Hochzeit mit und baut so Brücken, die die Mobilisierungsfähigkeit der Szene steigern soll. Bereits der Name „NRW stellt sich quer“ ist darauf angelegt, den rechtsradikalen Hintergrund zu verschleiern. Hier wird politische Mimikry betrieben, indem man sich einen ähnlich klingenden Namen, wie den demokratischer Initiativen gegen Rechts, gibt.

„NRW stellt sich quer“ mobilisierte im Mai zu einer Kundgebung gegen „Zensur“ vor die Löschzentrale Facebooks in Essen. Mit „Zensur“ bezeichnet die Szene das Entfernen von Inhalten, die den Gemeinschaftsrichtlinien Facebooks widersprechen, also beispielsweise rechtsradikale oder volksverhetzende Inhalte.

Gemeinsam mit Marion N. („Eltern gegen Gewalt“) und Silke R. („Bürger gegen Politikwahnsinn“), zwei weiteren Protagonistinnen der rechten Misch-Szene, engagiert sich van L. auch seit einiger Zeit bei den „Steeler Jungs“. Alle drei sind bei der selbsternannten „Schwesternschaft Deutschland“, das weibliche Pendant zur „Bruderschaft Deutschland“, in der sich auch weibliche Ableger anderer Städte- und Stadtteilgruppen, wie beispielsweise die „Altenessener Mädels“, engagieren.

Die Wirkmacht weiblicher Aktivistinnen in der Szene darf nicht unterschätzt werden. Zwar zeichnet sich die rechte Misch-Szene auf der einen Seite durch ein vehementes Ablehnen des Feminismus, klassischer Rollenverteilung, Macho-Kultur und patriarchalem Gebaren aus. Auf der anderen Seite übernehmen Frauen gleichzeitig Führungsrollen und -kompetenzen, fügen sich also nicht in das klassische Rollenschema „Mann-Frau“ ein. Die rechte und rechtsradikale Szene ist voller innerer Widersprüche, wie die hierarchischen Positionen von Frauen in der Rechten zeigt.

Arbeit für die Demokratie

Essen stellt sich quer hat 2019 einen Sieg für die Demokratie und das Ausüben des Versammlungsrechts erwirkt. Nachdem die Polizei bei einer Versammlung des Bündnisses 2018 Fotos angefertigt und auf Twitter und Facebook hochgeladen hat, klagte das Bündnis, da durch die Fotos eine abschreckende Wirkung ausgehen und Menschen dadurch an der Teilnahme von Versammlung abgehalten werden könnten.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen bestätigte die Sicht des Bündnisses bereits erstinstanzlich. Das klagende Land Nordrhein-Westfalen ging jedoch in Revision. Doch auch das Landesverwaltungsgericht in Münster gab dem Bündnis Recht: Die Polizei darf nicht anlasslos Foto- oder Videoaufnahmen anfertigen, da damit Personen an der Ausübung ihres Rechts auf Versammlungsfreiheit gehindert werden könnten, was dem Artikel 8 des Grundgesetzes widerspricht.

Das Land NRW ist abermals gegen das Urteil vorgegangen, sodass nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss.

Gewalttätiger Überfall auf Essen stellt sich quer

Kurz vor Ende des Jahres wurde ein Aktivist unseres Bündnisses Opfer einer hinterlistigen Attacke. Eine vermummte Person hatte Personen von Essen stellt sich quer aufgelauert und einen Menschen mit einem Faustschlag aus dem Hinterhalt niedergestreckt. Das 63-jährige Opfer ging zu Boden, war kurz bewusstlos und kam erst nach einigen Sekunden wieder zu sich. Glücklicher Weise haben Anwohner*innen den Überfall mitbekommen und verständigten die Polizei.

Der betroffenen Person geht es inzwischen wieder gut. Die Tat bleibt jedoch verachtenswert und feige: Der Angriff hat eine Person getroffen, gemeint war jedoch das gesamte Bündnis. Wir werden unsere Arbeit gegen rechte Umtriebe in und um Essen abermals intensivieren und uns nicht von dieser Gewalteskalation einschüchtern lassen!

Veranstaltungen des Bündnisses

2019 war ein enorm ereignisreiches Jahr für das Bündnis Essen stellt sich quer. Wir haben viele Veranstaltungen organisiert und freuen uns über die große Beteiligung. Angefangen von einer Veranstaltung zu „Hass im Netz“, gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung, Infoständen beim Pfingst Open Air und der Releaseparty von König Kobra, einer Veranstaltung zum Versammlungsrecht, über die Teilnahme am Ruhr.CSD, weiteren Infoständen bei den Fantastischen Vier und Essen Original, der Gedenkveranstaltung zum 9. November, bis zur Beteiligung bei Rock gegen Rechts der Falken und dem Konzert von Adam Angst – es war uns eine Freude!

Nächstes Jahr geht es weiter!

Das Jahr 2019 neigt sich dem Ende zu. Es war voller toller Überraschungen, harter Arbeit, spannenden Begebenheiten, aber auch politischen Rückschlägen. 2020 wird mindestens genauso spannend und aufregend! Wir Aktivist*innen freuen uns auf das kommende Jahr, freuen uns auf weitere schöne Momente, die den Kampf gegen Rechts – ungeachtet des an sich schlimmen Themas – so aufregend und lohnenswert machen.

Im nächsten Jahr feiern wir unser 20-jähriges Jubiläum! Wir sind schon seit einiger Zeit in den Vorbereitungen für ein entsprechendes Programm – man darf sich also freuen!

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Vielen Dank für das Lesen dieses Textes! Wir sehen uns im neuen Jahr!

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