Jahresrückblick 2021

Jahresrückblick 2021

Auch im Jahr 2021 haben wir als antifaschistisches und antirassistisches Bündnis Essen stellt sich quer nach den und nach dem Rechten gesehen. Im folgenden Jahresrückblick möchten wir das nunmehr zurückliegende Jahr rekapitulieren und sagen was war und was wird.

Inhalt

Ganz besonders möchten wir uns an dieser Stelle bei allen bedanken, die uns seit Jahr und Tag die Treue halten, uns ihr Vertrauen schenken und uns unterstützen, wo es nur geht. Das Feedback, das uns das Jahr über erreicht hat, ist Ansporn für uns auch im nächsten Jahr kritisch über Bewegungen in der Extremen Rechten, der Stadtgesellschaft und der Umgebung zu berichten, ohne dabei den Blick über den Tellerrand und für das Große und Ganze zu verlieren.

Silvester: Rassismus in den Kommentarspalten

Im noch jungen Jahr wurde über Vandalismus in Altenessen berichtet. An sich kein großes Thema, wenn die Debatte nicht rassistisch aufgeladen worden wäre. Insbesondere die Trümmertruppe um dasEssener Bürger Bündnis“ positionierte sich dabei als „harte Hand“ und sorgte damit mit dafür, dass sich in den Kommentarspalten ein Schwall rassistischer Kommentare ergoss

Corona

Corona ist auch 2021 eines der zentralen Aktions- und Agitationsfelder der Extremen Rechten gewesen. Dabei geht es ihr jedoch nicht um den Gesundheitsschutz oder Grundrechte. Die Szene spring willfährig auf jedes Pferd, das eine gewisse Zugkraft verspricht. Dabei agiert sie weder stringent noch logisch: Zu Beginn des Aufkommens der Virusvariante, als sie noch recht lokal im asiatischen Raum Verbreitung fand, malten die Akteur:innen der Extremen Rechten apokalyptische Szenarien und teilten mit Vorliebe Videos von Personen, die – so die Verheißung – tot umfallen.

Inzwischen, das Virus hat auch Deutschland fest im Griff, malt die Szene das exakte Gegenteil davon: Das Virus sei nicht gefährlich, nichts weiter als eine Grippe, existiere sogar gar nicht. Diese gedankliche „Flexibilität“ ist Kernmerkmal der Extremen Rechten, die die Apokalypse herbeisehnt. Sie braucht sie für ihr eigenes Dasein, um die Kerngemeinschaft aufeinander gegen einen „größeren, äußeren Feind“ einzuschwören. Dabei sind Widersprüche allenfalls Randnotizen und werden gerne zur Seite gekehrt.

Hupen mit Rechtsradikalen

Im Februar konzentrierte sich die Szene landesweit auf die Organisation von Autocorsos. In Essen bspw. organisiert von einer ehemaligen Lokalpolitikerin des “Sozial Liberale Bündnis”. Ihrer Versammlung schlossen sich auch Neonazis der „Bruderschaft Deutschland“ aus Düsseldorf an. „Kein Hupen mit Rechtsradikalen“, titelten wir, um die gemeinsame Sache selbsternannter „Querdenker“ und waschechten Neonazis aufzudecken. Denn demonstrieren tut man, wenn nur ohne Nazis. Deswegen sind wir solidarisch mit denen, die sich Nazis in den Weg stellen.

Antisemitismus als einende Klammer

Schon bei den illegalen Versammlungen 2020 haben wir auf Antisemitismus innerhalb der „Corona-Leugnungs-Szene“ verwiesen. Viel zu oft zieht er sich durch die Szene, eint sie gar und findet immer wieder auch klar zu erkennende Ausbrüche, wie im März, als die Corona-Maßnahmen in einem Graffito mit dem Holocaust gleichgesetzt wurden. Für uns bleibt klar: Gegen jeden Antisemitismus!

Verhöhnung rechtsradikaler Mordopfer

Am 19. Februar 2020 hat ein rechtsradikaler Terrorist 10 Menschen erschossen. Am Jahrestag ist in Essen-Steele ein Graffito aufgetaucht, das die Opfer von Hanau auslacht. Obendrein findet sich in direkter Nähe ein stilisiertes Hakenkreuz. Der Urheber der Schmiererei ist nicht unbekannt: Schon in der Vergangenheit hat die der AfD-anhängende Person Todesdrohungen gegen Grüne und Linke ausgesprochen.

Zwar wurde das Graffito im Rahmen einer routinemäßigen Neugestaltung der Wand glücklicherweise in kürzester Zeit entfernt. Das Problem, dass ein Nazi durch Steele zieht, der die Ermordeten von Hanau verhöhnt, bleibt jedoch bestehen.

Niederträchtig und menschenverachtend, wie die rechtsradikale Partei ist, kam Schützenhilfe von der AfD, die statt diese Tat zu verurteilen als Reaktion, lieber eine Graffiti-Taskforce gegen „linke Schmierereien“ beschließen lassen wollte.

Umso mehr heißt es für uns: #KeinVergebenKeinVergessen #gemeinsamgegenRassismus #SayTheirNames #GökhanGültekin #SedatGürbüz #SaidNesar #MercedesKierpacz #HamzaKurtović #ViliViorelPăun #FatihSaraçoğlu #FerhatUnvar #KaloyanVelkov

Klassischer Neonazismus

1. Mai Nazifrei

Im Jahre 1890 begingen erstmals Millionen arbeitender Menschen in Europa und in den USA gleichzeitig den »Weltfeiertag der Arbeit«. Heute ist der Kampftag offizieller Feiertag und gehört den Arbeiter:innen.

Dennoch instrumentalisiert die Extreme Rechte den Feiertag, wo sie kann. So geschehen auch in diesem Jahr. Die nahezu in der Bedeutungslosigkeit verschwundene NPD hat sich dafür Unterstützung der Partei „Die Rechte“ geholt und gemeinsam nach Essen mobilisiert. Dass nur eine Handvoll Neonazis gekommen sind, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor Gefahr von der straff organisierten Szene ausgeht.

Die Nazis hatten geplant zentral in der Essener Südstadt zu demonstrieren, in der sich deswegen bereits Widerstand regte, mussten letzten Endes jedoch in den Stadtteil Frohnhausen ausweichen. Mit ca. 1500 Personen antwortete die Essener Stadtgesellschaft aber adäquat und deutlich auf den Versuch der Vereinnahmung des Feiertags durch die Neonazis. Gemeinsam konnte dem braunen Ungeist, gezeigt werden, was wir von ihm halten!

Tod einer Szenegröße

Am 03. Oktober wurde übereinstimmend in mehreren Medien berichtet, dass die Szenegröße Siegfried Borchardt im Alter von 67 Jahren gestorben ist. Über die “Borussenfront” pflegte er Beziehungen zu lokalen Hooligan-Gruppierungen, wie den “Crazy Boys”, den “Essener Löwen” oder eben den “Steeler Jungs”, wie Fotos vom 08.08.2018 belegten, auf denen er ausgelassen mit genannten Gruppen im “Alten Stadttor” am Viehofer Platz das 40-jährige Jubiläum der “Crazy Boys” gefeiert hat.

Hakenkreuz in Steele

Dass die neonazistische Szene in Essen-Steele aus ihrer Einstellung keinen Hehl macht, wurde im August abermals deutlich, als Nazis wenige Wochen vor einer dort von unseren Freund:innen von Mut machen – Steele bleibt bunt! und uns organisierten Diskussionsrunde mit Essener Bundestagskandidat:innen ein Hakenkreuz an den Steeler Stadtgarten sprühten.

Gedenken in Essen

Gemäß unserem Selbstverständnis, dem nach wir uns mit alten und neuen Nazis in und um Essen beschäftigen, beteiligen wir uns auch an einer aktiven Gedenk- und Erinnerungskultur, um Vergangenes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Im Juni haben wir uns an einer Gedenkveranstaltung an der leider im Stadtbild viel zu übersehbaren Gedenkstätte Stadtwunde beteiligt. Was die „Schwarze Poth“ von ländlicher gelegenen KZs unterschied, war, dass die Lage zentraler kaum hätte liegen können.

Unsere Arbeit, unser Engagement, ist der Zukunft zugewandt. Am 09. November appellierten wir: »Lenken Sie „kein Vergeben, kein Vergessen“ in eine konstruktive Bahn. Sagen Sie den Menschen in Ihrem Umfeld, in Vereinen, Firmen und Familien auch nach dem 9. November „Nie wieder!“, und erklären Sie ihnen, weshalb dies so wichtig ist. Erzählen Sie Ihnen von den Stolpersteinen, von der „Stadtwunde“ im Herzen Essens, von den Pogromen, und wie eins zum anderen führte.«

Berichterstattung über die Extreme Rechte

In der medialen Berichterstattung passiert es immer wieder, dass man Akteur:innen der Extremen Rechten auf den Leim geht. Zweifelsohne kann nicht jede:r Redakteur:in alle Personen aus der lokalen Szene kennen und somit erkennen. Um so wichtiger, dass Aufklärung und Sensibilisierung stattfinden, wenn rechten Personen unverdient 15-minütiger Ruhm zuteil wird.

Als im Juni Rot-Weiss Essen knapp den Aufstieg in die dritte Liga verpasst, taucht im Bildmaterial der WAZ und NRZ ein Akteur der Extremen Rechten auf. Kein unbeschriebenes Blatt, teilte die Person doch bereits Hakenkreuze und war auf Facebook mit Tony E., Mitglied der „Gruppe Somogyi“, die rechtsterroristische Anschläge geplant haben soll, befreundet.

Im Oktober zeigte sich, dass etwas gehörig schief gelaufen ist, wenn selbst jahrelang bekannte Strukturen der Extremen Rechten trotz aller verfügbarer und frei zugänglicher Informationen auf eine Stufe mit jenen gestellt werden, die sich zivilgesellschaftlich für Demokratie und Vielfalt einsetzen.

Dabei macht die Szene es auch nicht immer leicht. Sie versucht sich immer wieder als wohl- und mildtätig zu inszenieren. Ob Schoko-Nikoläuse in der Fußgänger:innenzone verteilend oder vorgeblich “der Kinder wegen” St. Martin auf den Ruhrwiesen feiernd: Die Maskerade dient nur dazu, sich ein bürgerlicheres Image zu verleihen, die eigene politische Herkunft in den Hintergrund zu rücken und zu verschleiern.

„Steeler Jungs“

Auch 2021 haben die „Steeler Jungs“ von sich Reden gemacht. Ihre rechtsradikale Gesinnung ist nicht mehr wegzureden.

Bandidos verboten

Im Juli wurde die „Bandidos MC Federation West Central“, samt ihrer Teilorganisationen verboten. Betroffen davon war auch der Essener Ableger, in dem sich auffällig viele „Steeler Jungs“ tummeln. Bei den Razzien wurde ein Objekt unserer Einschätzung nach jedoch schlicht einfach übersehen: In der Alleestraße 22 in Freisenbruch befindet sich seit 2005 das Vereinsheim des Motorradklubs “Highway Rider’s MC Essen”, das seit geraumer Zeit als Treffpunkt für Bandido-Strukturen dient.

Rechtsrock und Verschwörungsmythen

Kurz nach dem Schlag gegen die Rocker-Szene tauchten die „Steeler Jungs“ in einem gemeinsamen Musikvideo des Antisemiten Xavier Naidoo und dem Rechtsextremisten Hannes Ostendorf auf. Das martialisch wirkende Video wurde in Bremen und Essen gedreht. Die Bremer Polizei bekam aber Wind von den Aufnahmen und konnte Baseballschläger, Messer, Sturmhauben, Bilder von Adolf Hitler beschlagnahmen.

Bedrohungen und offener Neonazismus

Die „Steeler Jungs“ sind 2021 durch Bedrohungen und „Sieg-Heil“-Rufen aufgefallen.

Gesprächsverweigerung der CDU

Anlässlich der Bundestagswahl haben wir gemeinsam mit den Freund:innen von Mut machen – Steele bleibt bunt! zu einer Podiumsdiskussion geladen. Vertreter:innen aller im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien waren eingeladen, ihre Sicht auf den Themenkomplex „Demokratisches Leben verteidigen“ darzulegen. Leider erschien die CDU unter fadenscheinigen Gründen zu unserem Bedauern nicht zu der ansonsten durchweg gelungenen Veranstaltung.

Essen als AfD Traditionsort

Im Oktober hat die AfD Essen erneut zwecks einer Listenaufstellung heimgesucht. Hitlergrüße, Nazibilder und ein „freundliches Gesicht“ des Nationalsozialismus. Uns ist klar: Das können und wollen wir nicht akzeptieren!

Kampf für demokratische Grundrechte und gegen ihre Einschränkung

Aus demokratischer und freiheitlicher Perspektive war 2021 kein gutes Jahr: Die Landesregierung NRW hat eine vielfach kritisierte Neufassung des Versammlungsgesetzes für NRW auf den Weg gebracht und beschlossen. Wir haben uns in dem Bündnis Versammlungsgesetz stoppen! Grundrechte erhalten! angeschlossen, da die Fassung als nichts Geringeres als ein Versammlungsverhinderungsgesetz gewertet werden muss.

Neonazis bei Traditionsvereinen

Die Sportschau hat einen aufschlussreichen Bericht über „Neonazis bei Traditionsvereinen“ veröffentlicht, in dem neben anderen auch die Essener Szene beleuchtet wird und zu dem wir unseren Beitrag geleistet haben.

Erfreuliches

Bei allen rechten Umtrieben hat 2021 auch durchweg Schönes für uns bereitgehalten!

Essen stellt sich quer wächst

Im November konnten wir mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste unsere 26. Bündnispartner:inenorganisation in unseren Reihen willkommen heißen!

20 Jahre Essen stellt sich quer

Dieses Jahr konnten wir trotz Pandemie viele Menschen für Themen begeistern. 744 Menschen haben sich an unseren Online-Veranstaltungen in diesem beteiligt:

Auch im kommenden Jahr wollen wir derartige Veranstaltungen durchführen und befinden uns bereits in der Planung.

Ausblick

Auch im kommenden Jahr 2022 werden wir uns weiter gegen alte und neue Nazis in und um Essen stellen, Gedenk- und Erinnerungspolitik betreiben und Informationsveranstaltungen organisieren. Leider werden uns dabei wohl zwei Themenkomplexe weiter in Atem halten, da sie nach wie vor virulent sind: Die “Steeler Jungs” sowie die sich radikalisierende Szene der selbsternannten “Querdenker”.

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